Düsseldorf. Kohlestrom wird als Gas-Ersatz dringend benötigt, dennoch soll Schwarz-Grün RWE ein Braunkohle-Dorf abhandeln. Kann das klappen?

Im Kampf um das symbolisch bedeutsame Braunkohle-Dorf Lützerath hat die neue schwarz-grüne Landesregierung überraschend deutlich für energiepolitischen Realismus in Krisenzeiten geworben. „RWE hat das Recht, die Kohle dort abzubaggern. Das ist durchgeklagt. Also ist diese Frage nur im Gespräch mit RWE zu klären“, sagte Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) am Montag der „Rheinischen Post“. So deutlich hatte das noch kein Spitzenvertreter der NRW-Grünen formuliert.

CDU und Grüne hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, fünf Dörfer des sogenannten dritten Umsiedlungsabschnitts im Tagebau Garzweiler vor den Abrissbaggern zu retten, nicht aber den Erkelenzer Ortsteil Lützerath. In dem Dorf, das von Dutzenden Klimaaktivisten bewohnt und als symbolische „1,5 Grad Ziel-Grenze“ verteidigt wird, soll im Oktober die Räumung beginnen. Es gibt die Befürchtung, dass es zu Ausschreitungen wie beim Kampf um den Hambacher Forst kommen könnte. Dort hatte 2018 die damalige schwarz-gelbe Landesregierung trotz des größten Polizei-Einsatzes der NRW-Geschichte am Ende einlenken müssen. Bereits über 5000 Demonstranten hätten angekündigt, sich der Zerstörung von Lützerath zu widersetzen, teilte „Fridays for Future“ unlängst mit.

RWE verweist auf energiepolitische Zwänge

In Lützerath wartet auf Schwarz-Grün eine politische Herausforderung. Die neue NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), die im vergangenen Jahr selbst noch für den Erhalt des Dorfes demonstriert hatte, soll RWE-Chef Markus Krebber in den kommenden Wochen die Räumung ausreden. Krebber hatte jedoch vor vier Wochen in der „Süddeutschen Zeitung“ auf energiepolitische Zwänge verwiesen: „Der planmäßige Tagebaufortschritt ist wichtig, vor allem, wenn wir uns auf Szenarien vorbereiten, in denen Gas gespart werden soll.“

Seither ist der Ruf nach Kohlestrom als Gas-Ersatz noch lauter geworden. Auf Geheiß des Grünen-Wirtschaftsministers Robert Habeck sollen Kraftwerksbetreiber wie RWE mehrere Blöcke, die noch in der Sicherheitsbereitschaft sind, wieder anfahren. Die von der neuen Landesregierung laut Koalitionsvertrag angestrebte „zeitnahe neue Leitentscheidung“ zur schnellstmöglichen Beendigung der Braunkohlegewinnung und -verstromung wird deshalb kompliziert. Der Bundestag hat Anfang Juli in einem Entschließungsantrag gemeinsam mit der Bereithaltung von Ersatzkraftwerken dem Land zwar auch expliziert die Rettung von Lützerath aufgegeben, ohne aber darzulegen, wie beides zusammenpassen soll.

Plötzlich offen für Streckung des AKW-Betriebs

Ungemach droht auch in der Debatte über die Laufzeitverlängerung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland. Während die NRW-Grünen eigentlich die AKW in den Nachbarländern schnellstmöglichst abschalten wollten, schließt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) nun eine Streckung der Betriebszeiten der drei verbliebenen heimischen Meiler über das Jahresende hinaus nicht mehr aus.