Duisburg. Die Haushaltssperre des Bundesfinanzministers überschattet ein Treffen der SPD-Fraktionsspitzen aus Bund und Ländern in Duisburg.

  • Die Fraktionschefinnen und -chefs der SPD aus Bund und 16 Länderparlamenten trafen sich am Montag und Dienstag zur Klausur in Duisburg.
  • Die kurz zuvor vom Bundesfinanzminister verhängte Haushaltssperre drückte dem Treffen einen Stempel auf.
  • Die Sozialdemokraten appellieren an Lindner, die Koalitionsdisziplin zu wahren und Investitionen nicht zu blockieren.

Es hätte einfach eine lustige Schifffahrt werden können. In Ruhrort, am Ende der Harmoniestraße, stiegen die SPD-Fraktionsspitzen aus Bundestag und 16 Länderparlamenten am Dienstag ins Motorschiff „Rheinpoesie“ und drehten eine Runde im Duisburger Hafen. An einem Tag aber, an dem die Haushaltssperre des Bundesfinanzministers in aller Munde war und die Frage nach der Zukunft der Ampel so laut wie nie zuvor gestellt wurde, verlief die Fahrt durchs Hochwasser nicht unbeschwert.

Haushaltssperre: Viel Hektik im Politikbetrieb

Es wäre übertreiben, an dieser Stelle ein Katastrophen-Szenario zu beschreiben mit Rettungsringen, Untiefen und Nebel vorm Bug, aber Nervosität war doch mit an Bord. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte gar keine Zeit, um den Vorträgen über den modernen Duisburger Hafen und die Internationale Gartenausstellung IGA 2027 im Ruhrgebiet zu lauschen. Er hackte die ganze Zeit auf seinem Laptop herum oder telefonierte. Auch Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich lief ein ums andere Mal mit dem Handy am Ohr auf und ab. Der Gesprächsbedarf ist groß in diesen Stunden. Es steht viel auf dem Spiel. Vielleicht sogar die Bundesregierung.

Siebenmal nimmt Mützenich nach der Tour in einer kurzen Pressekonferenz das Wort „Verantwortung“ in den Mund, SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott sagt es dreimal. Adressaten sind die Unionsparteien und der eigene Ampel-Koalitionspartner FDP. Die Opposition im Bundestag kommentiere das Verfassungsgerichts-Urteil, das der Bundesregierung jetzt so viele Handlungsmöglichkeiten nehme, „mit Verantwortungslosigkeit, manchmal auch mit Häme“, kritisierte Mützenich.

Haushaltssperre: Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Schuldenbremse

Die Sozialdemokraten treibt insgeheim aber vor allem die Sorge um, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine FDP nach dem harten Urteil aus Karlsruhe die Berliner Koalition sprengen könnten. Lindner verteidigt vehement die Schuldenbremse, SPD und Grüne wollen sie reformieren, um weiter viel Geld investieren zu können, zum Beispiel in den Klimaschutz, Bildung, in die Modernisierung der Bahn und in die Digitalisierung.

Auch die Gewerkschaften fordern Milliarden-Investitionen, um Deutschland und NRW zukunftsfest zu machen

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor wenigen Tagen eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2021 für nichtig erklärt. Sie waren eigentlich zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, sollten aber für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Als Reaktion darauf hat das Bundesfinanzministerium zahlreiche Posten im Bundeshaushalt gesperrt.

Haushaltssperre: Kann der Staat sich doch noch neu verschulden?

Ohne Investitionen gebe es aber keinen Fortschritt, keine sicheren Industriearbeitsplätze, womöglich gerate am Ende sogar die Demokratie unter die Räder, warnen die Fraktionschefinnen und -chefs. Weil im Bundestag die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Abschaffung der Schuldenbremse nicht in Sicht ist, rät Rolf Mützenich dazu, von einer eine Ausnahmeregel, die Artikel 115 des Grundgesetzes ermöglicht, Gebrauch zu machen. In „außergewöhnlichen Notsituationen“, kann demnach die Schuldenbremse umgangen werden. Die Lage gebe das allemal her, meint Mützenich: „Wer vorbehaltlos und ohne Ideologie auf die Situation in Europa, der Welt und in unserem Land blickt, der kann schlecht behaupten, dass wir nicht in Ausnahmejahren sind.“

Gefühlt ist die FDP schon längst im Lager von CDU und CSU

Tief blicken lässt allerdings ein Positionspapier, das die SPD-Fraktionsspitzen am Dienstag bei ihrem Treffen in Duisburg beschlossen: Darin wird der liberale Koalitionspartner im Bund beim Thema Schuldenbremse schon mit den Unionsparteien in einen Topf geworfen, als säßen die zusammen in der Opposition. „CDU/CSU und FDP dürfen sich der dringend notwendigen Debatte über die Reform dieser Zukunftsbremse nicht länger verweigern.“ Jochen Ott appellierte an Bord der „Rheinpoesie“ an die Liberalen und die Union, „jetzt keine ordoliberalen Debatten zu führen“ und warnte gar vor dem Schreckgespenst einer vollends entfesselten Wirtschaft nach dem Vorbild der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher.

Nicht wenige Sozialdemokraten trauen Lindner in dieser Situation zu, die Neuaufnahme von Schulden nachhaltig zu boykottieren. Die Sorge lässt sich mit einem Blick in die Vergangenheit durchaus begründen. Ausgabendisziplin ist ein altes Thema des FDP-Chefs. 2012 stand auf seinen Wahlplakaten „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“. Ist dieser Kann man diesem Finanzminister noch trauen?

Ampel-Koalition: SPD-Fraktionschefs hoffen auf zwei weitere Jahre

Rolf Mützenich appellierte in Duisburg an die Liberalen, zwei weitere Jahre Verantwortung in der Koalition zu übernehmen. Es wäre „fahrlässig“, in dieser Situation die Brocken hinzuwerfen. „Dieses Bündnis kann leben“, beschwor Mützenich. Er selbst sei darum bemüht, die Ampel bis zum Ende der Legislaturperiode zusammenzuhalten.

Jochen Ott fühlt sich nach dem Karlsruher Urteil und dem Gezänk der politischen Lager an eine Szene aus dem Monty-Python-Film „Ritter der Kokosnuss“ erinnert: „Der Schwarze Ritter hat keinen Arm mehr und kein Bein mehr und bietet am Ende ein Unentschieden an.“ Die Folgen dieses Urteils zu meistern, das sei eine gesamtstaatliche Verantwortung.

Info zum Duisburger Beschluss

Die SPD-Fraktionsspitzen aus Bund und Ländern forderten am Dienstag staatliche und private Investitionen in Klimaschutz, Bildung und Digitalisierung. Die Schuldenbremse sei ein „Zukunftsbremse“. Um dies zu erreichen, müssten sich „sehr hohe Einkommen und Erbschaften von Multimillionären und Milliardären stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen“.

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