Düsseldorf. NRW-Justizminister Limbach kassiert in einem Besetzungsstreit die zweite Gerichtspleite - ist die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr?

Rücktrittsforderungen entfalten in der Politik meist nur dann Wirkung, wenn der Rückhalt in den eigenen Reihen schwindet. NRW-Justizminister Benjamin Limbach dürfte deshalb weiterhin ruhig schlafen, auch wenn ihn die Landtagsopposition längst für untragbar hält. Denn in seiner Partei, den Grünen, lässt sich noch kein öffentliches Abrücken erkennen. Der 54-jährige Richter aus Bonn ist schließlich erst seit gut 15 Monaten im Amt und – fast wichtiger - kein potenzieller Nachfolger in Sicht.

Seit Dienstagnachmittag hat die Limbach-Diskussion in Düsseldorf einen vorläufigen neuen Höhepunkt erreicht. Neben dem Ärger um die geplante und dann wieder abgesagte Entmachtung der Cum-Ex-Jägerin Anne Brorhilker bei der Staatsanwaltschaft Köln und den Ungereimtheiten um die Herausgabe von Steuerbetrugs-Akten an den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in Hamburg setzt dem Justizminister vor allem eine Beförderungssache zu. Es besteht dringender Klüngelverdacht.

Oberverwaltungsgericht Münster: Warum Klüngelverdacht besteht

Nach dem Verwaltungsgericht Münster hat am Dienstag auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf Limbachs Auswahlverfahren für die Stelle der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts (OVG) als rechtswidrig gebrandmarkt. Geklagt hatten zwei Juristen, die nicht zum Zuge kamen und gegenüber einer Duzfreundin des Ministers das Nachsehen hatten. Diese war, unjuristisch gesprochen, nach einem Abendessen mit Limbach nachträglich ins Verfahren geschleust worden.

Die getroffene Auswahlentscheidung sei „fehlerhaft zustande gekommen, weil sie auf einer rechtswidrigen Überbeurteilung“ der am Ende siegreichen Kandidatin beruhte, erklärte das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Münster hatte zuvor sogar noch härter formuliert und Limbach eine „manipulative“ Verfahrensgestaltung attestiert, was sich die Richterkollegen in Düsseldorf ausdrücklich nicht zu eigen machen wollten. Am Ende entscheidet nun kurioserweise das OVG in zweiter Instanz selbst, ob es die von Limbach ausgewählte Chefin akzeptiert oder nicht.

Richterauswahl in NRW: Gewaltenteilung in Gefahr

Werner Pfeil (FDP), Vorsitzender des Rechtsausschusses im NRW-Landtag, hält den politischen Schaden, den der Minister angerichtet habe, schon jetzt für „immens und irreparabel“. Ein Rücktritt sei unausweichlich. „In der fast 75-jährigen Geschichte NRWs hat noch kein Justizminister so in der Kritik gestanden wie Limbach mit seinen umstrittenen Entscheidungen“, so Pfeil. „Das Fass ist übergelaufen, und die Autorität des Ministers massiv beschädigt“, findet SPD-Fraktionsvize Elisabeth Müller-Witt.

Der Fall wirft ein selten grelles Schlaglicht auf die Richterauswahl in NRW und die oftmals beklagte Politisierung der eigentlich unabhängigen Justiz. Das Präsidentenamt am Oberverwaltungsgericht ist für jede Landesregierung eine zentrale Position. Hier können zahlreiche politische Vorhaben final gestoppt oder durchgewunken werden. Das weckt Begehrlichkeiten in jeder Koalition. Auch wenn die rechtsstaatliche Gewaltenteilung zweifellos funktioniert, ist ein Besetzungsverfahren in der Justiz immer ein kurzes Zeitfenster für politische Einflussnahme.

Seit Juni 2021 ist die wichtige OVG-Stelle vakant. Limbachs Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) hatte noch schnell am Tag nach der Landtagswahl im Mai 2022 seine Paraphe unter einen Besetzungsvorschlag gesetzt, der einen verdienten Ministerialdirigenten seines Justizministeriums favorisierte.

Oberverwaltungsgericht NRW: Turbo-Karriere wirft Fragen auf

Limbach stoppte das Verfahren direkt am Tag nach seiner Ernennung zum Minister Ende Juni 2022 und schob stattdessen eine ihm bekannte Abteilungsleiterin für Digitales und Cybersicherheit aus dem Innenministerium mit CDU-Parteibuch in Position, mit der er bei einem Abendessen eine mögliche nachträgliche Bewerbung um das OVG-Präsidentenamt erörtert hatte. Limbach bestreitet zwar ein „Näheverhältnis“, doch die Turbo-Karriere seiner Kandidatin ist seit Monaten Gesprächsthema in der NRW-Justiz.

Die Frau verfüge über wenig Erfahrung in der Verwaltungsjustiz oder im Justizmanagement, war zum Beispiel nie Senatsvorsitzende am OVG, wird unter Richtern moniert. Stattdessen sei sie neun Jahre lang ans Kommissariat der Deutschen Bischöfe ausgeliehen worden. Nach der Rückkehr ins Innenministerium sei ihr binnen kürzester Zeit ein außergewöhnlicher Karrieresprung in den Besoldungsstufen von B2 über B4 nach B7 gelungen. Limbach stattete die Frau schließlich mit der sogenannten Überbeurteilung „hervorragend geeignet“ aus, obwohl er gar nicht zuständig war. Das wurde ihm nun von den Verwaltungsgerichten um die Ohren gehauen.

„Eine der höchsten Richterstellen in Nordrhein-Westfalen kann durch das Verschulden von Benjamin Limbach weiterhin nicht neu besetzt werden. Damit hat er der Justiz in NRW schweren Schaden zugefügt und sie geschwächt“, kritisiert SPD-Frau Müller-Witt. In Regierungskreisen ist dagegen von einem juristischen Formfehler die Rede. Dem Justizminister Postenschieberei mit Koalitionspartner CDU oder unlautere Absichten bei der Besetzungspraxis vorzuwerfen, sei abwegig. Wieder andere verweisen auf die fehlende politische Erfahrung vom Limbach, der als Quereinsteiger die Dimension dieser angreifbaren Personalie schlicht nicht vorhergesehen habe.

Es ist schwer vorstellbar, dass die schwarz-grüne Koalition diesen Besetzungsstreit bis zum Ende beim OVG durchfechten will. Wahrscheinlicher wird ein komplett neues Besetzungsverfahren, an dessen Ende ein unabhängiger und unbeschädigter Spitzenjurist das wichtigste Verwaltungsrichteramt in NRW ausfüllt. Das wäre doch mal was.