Düsseldorf. Der NRW-Innenminister über seinen zähen Kampf gegen Clankriminalität, syrische Großfamilien und seine Sorgen bei der Migrationspolitik.

NRW-Innenminister Herbert Reul (71) hat als populärer „Mr. Null Toleranz“ eine bemerkenswerte Alterskarriere hingelegt, obwohl er Zeit seines politischen Lebens immer dem liberalen CDU-Flügel zugerechnet wurde. Wir trafen ihn in aufgewühlten Zeiten zu einem Gespräch über seinen Kampf gegen kriminelle Clans, der sich zäher gestaltet, als mancher gehofft hatte.

Herr Minister, das jüngste Lagebild zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen wies einen Anstieg der Straftaten um 20 Prozent aus. Kämpfen Sie gegen Windmühlen?

Der Erfolg der Null Toleranz-Strategie und des größeren Kontrolldrucks ist klar erkennbar. 20 Prozent mehr Straftaten in der Statistik sind immer auch 20 Prozent mehr aufgedeckte Fälle. Vor allem spiegeln uns viele Bürgerinnen und Bürger dankbar zurück, dass ihr Bedrohungsgefühl zumindest etwas nachgelassen habe, seit unsere Polizei den Clans verstärkt auf den Füßen steht.

Beeindruckt das türkisch-arabische Großfamilien, die über Jahrzehnte ihre eigenen Regeln etabliert und immense Vermögen angehäuft haben, wirklich nachhaltig?

Man kann natürlich immer sagen, der Reul redet sich die Lage gesund, aber es stimmt einfach nicht, dass sich nichts geändert hätte. Die ganz große Dreistigkeit und Rotzigkeit der Clans gegenüber dem Rechtsstaat sind weg. Wir haben die Anzahl der Tumultlagen von 179 im Jahr 2018 auf 37 im vergangenen Jahr drücken können und seit 2017 mehr als 21 Millionen Euro an Vermögenswerten gesichert. Und einige von den ganz dicken Clan-Bossen haben wir auch erwischt.

Ende Oktober laden Sie Experten aus Europa zu einem internationalen Clan-Kongress ein. Warum?

Wir wollen den internationalen Austausch verstärken, weil auch die Clans bei den großen illegalen Geschäften meist international agieren. Da können wir aus der Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel in Schweden oder den Niederlanden sicher gegenseitig noch mehr Nutzen ziehen. Wir wollen eine Gesprächsplattform schaffen, auf der sich die Polizei gezielt zum Phänomen der Clankriminalität über Strategien und Erfahrungen austauschen kann.

Clan-Geschichte darf sich mit perspektivlosen Syrern nicht wiederholen

Bei Tumulten im Ruhrgebiet sind zuletzt erstmals im großen Stil Syrer auffällig geworden, die größtenteils in der Flüchtlingskrise 2015 nach NRW gekommen zu sein scheinen. Wachsen da neue Clans heran?

Unsere Spezialisten überprüfen derzeit, inwieweit neue kriminelle syrische Clanstrukturen vergleichbar sind mit denen der libanesisch-kurdischen Großfamilien, die seit Jahrzehnten hier ihre Geschäfte aufgezogen haben. Klar ist nur, dass wir aufpassen müssen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und Leute, die hier keine legale Perspektive für sich sehen, illegale Parallelstrukturen mit eigenen Normen und Werten für sich aufbauen.

Sie wollen Bargeldgeschäfte eindämmen, um Clans finanziell auszutrocknen. Kommen Sie da weiter?

Ich weiß, dass meine Partei da zurückhaltend ist, aber ich finde, das muss gemacht werden. Wir müssen verhindern, dass Hunderttausende Euro Bargeld durch den Kauf von Autos oder Luxusgegenständen gewaschen werden können. Ich erwarte, dass der Bund, der zuständig ist, dazu einen Vorschlag unterbreitet.

Im Namensstreit um die Clankriminalität haben Sie sich bislang gegen ihren grünen Koalitionspartner durchgesetzt. Warum ist Ihnen der Begriff wichtig?

Clankriminalität war immer ein Arbeitstitel, mit dem die Polizei Strukturen erfassen kann. Wenn zahlreiche Fälle von Alltagskriminalität und rund 17 Prozent der Ermittlungsverfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität einigen polizeibekannten Familiennamen zuzuordnen sind, dann erschien es uns sinnvoll, sich über diese Namen dem Phänomen zu nähern.

"Bislang konnte mir keine eine bessere Analysemethode nennen"

Die Grünen finden diesen namensbasierten Ansatz diskriminierend…

Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass im Einzelfall auch unbescholtene Mitglieder dieser Familien stigmatisiert werden können. Aber wir arbeiten mit diesen Namen nur polizeiintern und machen sie nicht öffentlich. Bislang konnte mir keiner eine bessere Analysemethode nennen. Ich bin für Ideen offen.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert, dass mit Clan-Razzien zu viel Show gemacht werde und tatsächlich aber Kriminalpolizisten für die wichtige Ermittlungsarbeit fehlten. Stimmt das?

Beides ist wichtig: Kontrolle und Kripo. Mit der Strategie der 1000 Nadelstiche stören wir die Kreise der Clans, denn die Razzien in Shisha-Bars und einschlägigen Vierteln nerven die ungemein. Zugleich brauchen wir noch mehr Spezialisten bei der Kriminalpolizei, die die Strukturen im Hintergrund ermitteln. Deshalb werbe ich bei jungen Polizistinnen und Polizisten auch mit vielfältigen Maßnahmen für das Berufsfeld der Kripo. Hoffnungen setze ich auch in Quereinsteiger aus anderen Professionen, die uns bei der immer komplexeren Ermittlungsarbeit helfen können.

"Wir dürfen den Leuten nicht erzählen, dass die Dinge einfach zu lösen sind"

Warum haben Sie Bundesinnenministerin Faeser nicht bei ihrem Vorstoß unterstützt, Clanmitglieder unabhängig von einer individuellen Verurteilung schneller abzuschieben?

Viele Clanmitglieder haben einen deutschen Pass oder kommen aus Ländern, in die man nicht ohne Weiteres abschieben kann. Deshalb sollten wir mit solchen Vorstößen keine falschen Erwartungen wecken. Wenn ich eines in meinem langen politischen Leben gelernt habe, dann das: Wir dürfen den Leuten nicht erzählen, dass die Dinge einfach zu lösen sind, denn sonst produzieren wir nur Enttäuschungen - und am Ende wird das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates insgesamt erschüttert.

Stattdessen?

Die Dinge beim Namen nennen, ganz einfach. Dass es im Ruhrgebiet und anderswo Clankriminalität gibt, wusste seit 30 Jahren jeder, der mit offenen Augen durch die Welt läuft. Doch die Politik hat immer gemeint, wenn man nicht drüber redet und es nicht anpackt, hält man das Thema klein und spielt nicht den Falschen in die Karten. Völlig verkehrt. Wir müssen Probleme benennen, anfangen zu arbeiten und auch mal zugeben, dass wir nicht alles per Simsalabim sofort lösen können.

Ist das auch Ihr Rat im Umgang mit der aktuellen Flüchtlingskrise, die vielen Menschen Angst macht?

Ich finde, Altbundespräsident Gauck hat Recht, dass es moralisch überhaupt nicht verwerflich ist und politisch sogar geboten, beim Flüchtlingszuzug endlich eine Begrenzungsstrategie zu fahren. Jeder weiß, dass unsere Kommunen an der Belastungsgrenze sind und wir nicht alle aufnehmen können, die sicher aus nachvollziehbaren Gründen nach Deutschland wollen. Das muss uns in allen Parteien leiten, das müssen wir lösen. Wenn die Menschen merken, dass wir das entschlossen und verantwortungsvoll versuchen, laufen sie auch nicht mehr zu Hetzern und Demokratiefeinden.