Essen. Migrationsexpertin spricht von einer Eskalation und warnt vor pauschaler Verurteilung: Flüchtlinge sind keine Bedrohung für die Bevölkerung.
Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW, warnt angesichts der Auseinandersetzungen zwischen libanesischen und syrischen Großfamilien in Essen vor einer pauschalen Verurteilung dieser Migrantengruppen. „Natürlich ist das beängstigend für die Bürgerinnen und Bürger. Aber es ist wichtig, dass wir differenziert bleiben. In Essen leben Menschen aus mehr als 140 Herkunftsländern, die Konflikte betreffen also nur einen sehr geringen Prozentsatz der Menschen in Essen, die eine nicht-deutsche Staatsbürgerschaft haben.“
Die syrische und die libanesische Community seien keineswegs eine jeweils homogene Gemeinschaft, es gebe auch unter ihnen sehr unterschiedliche Ansichten. So hätten sich nach den Ereignissen viele Menschen syrischer Herkunft für ihre Landsleute entschuldigt.
Die Polizei muss durchgreifen
Leider würden solche Tumulte mitten in der Stadt bestehende Vorurteile verstärken und ein Bild vermitteln, dass Flüchtlinge insgesamt eine Bedrohung darstellen. Selbstverständlich müsse die Polizei in solchen akuten Situationen durchgreifen und die Rädelsführer bestrafen, sagt die Migrationsexpertin. „Der Bevölkerung darf aber dabei nicht das Gefühl vermittelt werden, dass es ein neues und dauerhaftes Bedrohungsszenario gibt, nur weil in ihrer Stadt libanesische und syrische Großfamilien leben.“
Über die Hintergründe der Auseinandersetzungen, die in der Nacht vom 16. Auf den 17. Juni in der Essener Innenstadt eskalierten, möchte sie nicht spekulieren. Aber dass die Clan-Mitglieder bei Streitereien oder Konflikten nicht von sich aus den Weg zur Polizei suchten, sei wenig verwunderlich. Zu den Behörden habe man wenig Vertrauen, zudem gelte dies als feige. „Probleme regelt man innerhalb der Familie.“
Libanesen wurden ausgeschlossen
Naujoks verweist darauf, dass die Menschen aus dem Libanon jahrzehntelang an den Rand der deutschen Gesellschaft gedrängt wurden. „Sie hatten häufig keine Chance auf einen sicheren Aufenthaltsstatus und erhielten keine Arbeitserlaubnis. Sie fühlen sich diskriminiert. Und dann sehen sie eine neue und stark wachsende Gruppe syrischer Flüchtlinge in der Stadt, die aus ihrer Sicht mehr Anerkennung und Unterstützung bekommt.“
Das verstärke das Konkurrenzdenken und könne dazu führen, dass selbst kleine Anlässe zu schweren Konflikten führen. Hinzu komme, dass sich Syrer und Libanesen aufgrund historischer Ereignisse als Feinde betrachten. Naujoks: „Manche Menschen bringen ihre Einstellungen und Konflikte aus der Heimat mit nach Deutschland.“