Essen. Gibt es nun auch syrische Clans in NRW? Islamwissenschaftler Ghadban warnt nach Tumulten in Essen vor zunehmenden Clan-Strukturen in Deutschland.

Wenige Tage nach den Straßen-Tumulten zwischen libanesischen und syrischen Mitgliedern von Großfamilien in Essen rückt die Frage in den Fokus, ob sich auch innerhalb von Familien der syrischen Community Clan-Strukturen bilden. Laura Lindemann hat mit dem Berliner Islamwissenschaftler und Clan-Experten Ralph Ghadban über eine zunehmende Radikalisierung in Deutschland gesprochen.

Herr Ghadban, gibt es jetzt auch syrische Clans in Deutschland?

Ja. Das, was zuletzt in Essen passiert ist, war die Auseinandersetzung zwischen dem libanesischen „Mhallami-Clan“ und einem syrischen Stamm. Familienstämme sind noch radikaler als Clans, die Solidarität innerhalb der Familie ist noch stärker und sie sind der Außenwelt gegenüber noch isolierter.

Sprechen wir von Einzelfällen oder gibt es mehr syrische Stämme oder Clans hier in NRW?

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber gerade in Essen und auch in Berlin ist ihre Präsenz durch Straßen-Prügeleien bemerkbar. Die meisten von ihnen sind 2015 mit der syrischen Flüchtlingswelle hergekommen. Aber natürlich ist nicht jede Großfamilie ein Clan. Der Hauptunterschied ist die sogenannte Blutrache. Und eben die Prügel-Aktionen wie neulich in Essen.

Wie entstehen die syrischen Clan-Strukturen?

Die Menschen sind bereits in Syrien so organisiert. Dort gibt es ganze Gebiete, die nur aus sogenannten Stämmen bestehen. Das gilt für die gesamte arabische Region. Und das liegt am soziokulturellen Hintergrund. Die Großfamilie bildet die Grundeinheit der sozialen Organisation. Die Menschen kommen aus Ländern, in denen es keine Demokratie gibt, wo autoritäre Regime herrschen. Zuflucht und Schutz finden sie dann in ihrer Großfamilie.

Dadurch, dass es in Deutschland einfacher geworden ist, die Familie nachzuholen, können sie hier ihre Großfamilien nach und nach wieder aufbauen. In den letzten Tagen haben wir gesehen, dass sie Straßen-Konfrontationen bereits im hohen Ausmaß durchführen können.

Aber natürlich spielt Bildung eine große Rolle. Hier leben sowohl viele intellektuelle Syrer, die aus Städten kommen, aber eben auch gewaltbereite Stämme aus Ostsyrien. Diese leben vorwiegend in Essen und in Berlin.

Die Mhallami sind lange vor den Syrern gekommen und trotzdem sind ihre Clan-Strukturen immer noch sichtbar. Liegt das an ihrem Status als Geduldete?

Das ist ein Mythos. Über 60 Prozent der libanesischen „Mhallami“ haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zeiten wie in den 80er Jahren, in denen die Menschen nur „geduldet“ wurden, sind längst vorbei. Und trotzdem liegt die Arbeitslosigkeit noch heute bei ihnen bei 80 Prozent. Ich habe viele Felduntersuchungen zu dem Thema gemacht.

Woher kommt dann der tiefe Hass zwischen vielen Syrern und Libanesen?

Unter den beiden Communities herrscht ein Konkurrenzkampf. Beide leben in einer Parallelgesellschaft, wohnen in denselben Vierteln. Da fängt es schon damit an, wer im Viertel nun das arabische Brot verkaufen darf. Außerdem spielt die Ehre in beiden Kulturen eine große Rolle. Wenn die verletzt wird, etwa durch die Beleidigung der Familie, kann es zu Tumulten kommen.

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Was machen solche Tumulte mit den vielen Syrerinnen und Syrern, die gut integriert sind?

Die Mehrheit der Syrer hier ist friedlich und fällt nicht auf. Viele Menschen haben jetzt Angst vor Vorverurteilung. Deshalb sollte es unbedingt vermieden werden, zu pauschalisieren. Und trotzdem muss man die Probleme beim Namen nennen.