Düsseldorf. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) erklärte im Landtag, dass weit mehr als 500 Lehrer-Daten fei einsehbar gewesen sein sollen.
Die neue IT-Panne in der NRW-Schulverwaltung ist offenbar deutlich größer als bisher angenommen. NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) bestätigte am Mittwoch im Schulausschuss Gerüchte, dass „mehr als 500 Datensätze“ von Lehrerinnen und Lehrern auf einem Server der „Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule NRW“ (Qualis NRW) offen im Netz einsehbar waren. Eine genaue Zahl nannte sie nicht.
Gibt es das Daten-Leck schon länger?
Diverse IT-Experten hatten zuvor gemutmaßt, es könne sich um bis zu 16.000 Datensätze handeln. Das Schulministerium erklärte, frei einsehbar seien „nur“ Namen und Vornahmen von Server-Nutzern und deren Mail-Adressen gewesen, nicht aber die Passwörter. Unbekannt ist, wie alt die Sicherheitslücke bei Qualis schon ist. Möglicherweise gebe es dieses Problem „schon länger als zehn Monate“, so Feller. Das würde bedeuten, dass die Probleme schon vor Beginn ihrer Amtszeit existierten.
Für das Institut "Qualis" wird die Luft dünn
Das Institut Qualis steht nun nicht nur wegen dieser Datenpanne, sondern als „Gesamtstruktur“ auf dem Prüfstand und wird nun von externen Experten des Unternehmens Ernst & Young und anderen Fachleuten aus der öffentlichen Verwaltung überprüft. Feller verwendete mehrfach den Begriff „Schwachstelle“, als sie über das Institut und seine Rolle bei der Datenpanne sprach.
Mehrfach hätten Mitarbeitende von Qualis das NRW-Schulministerium in den vergangenen Tagen auf Nachfragen nicht oder viel zu spät über das wahre Ausmaß der Datenpanne informiert. Feller sprach von einer „schwierigen Situation“ im Institut. „Was wir erlebt haben in der Zusammenarbeit mit Qualis, das geht so nicht“, sagte die Ministerin.
Feller kann auch nicht ausschließen, dass in nächster Zeit weitere Probleme „aufploppen“. Sie habe bei Amtsantritt zu viele Baustellen übernommen. Die nun abgearbeitet werden müssten.
Vorwurf der FDP: "Verschweigen statt Transparenz"
Die Opposition aus SPD, FDP und AfD warf Feller vor, den Schulausschuss am Freitag wider besseres Wissen nicht über die zweite IT-Panne nach der mit den Download-Problemen bei Abi informiert zu haben. Franziska Müller-Rech (FDP) warf der Ministerin vor, sie leiste nicht die von ihr versprochene Transparenz, sondern verschweige die Probleme.
Feller wehrte sich. „Ich habe nichts bewusst verschwiegen“, beteuerte sie. Sie haben dem Daten-Leck bei Qualis am Freitag nicht die Bedeutung zugemessen, die sie eigentlich verdient habe. Am Donnerstag habe das Institut dem Schulministerium erklärt, dass es zwar eine Schwachstelle bei den Daten gebe, das Problem aber gelöst sei. Diese Information war offenbar falsch.
Feller: "Kein Zusammenhang mit der Panne beim Abi-Start"
Einen Zusammenhang zwischen der ersten IT-Panne beim Start ins Zentralabitur und der zweiten mit den frei einsehbaren Lehrerdaten schließt das Schulministerium aus. Feller versprach eine „objektive, intensive und nachhaltige Aufklärung“ der Probleme bei Qualis.
SPD-Schulexperte Jochen Ott (SPD) warnte Feller davor, das Institut Qualis zum „Sündenbock“ zu machen. Man werde es nicht zulassen, wenn Qualis-Beschäftigte zu „Sündenböcken“ gemacht werden sollten für Versäumnisse des Schulministeriums.
Erst überschattet eine „Download“-Panne den Start ins Abitur 2023, wenige Tage später räumt die Landesregierung ein, es habe ein „Daten-Leck“ mit frei einsehbaren persönlichen Daten von Lehrerinnen und Lehrern auf dem Server eines Landes-Institutes gegeben. Die sonst betont sachliche NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) gab sich angesichts dieser Pannenserie am Mittwoch im Schulausschuss ungewohnt emotional.
Auslöser waren Vorwürfe der FDP-Schulexpertin Franziska Müller-Rech gegen die Ministerin. Die Liberale hielt Ministerin Feller vor, den Schulausschuss des Landtags am vergangenen Freitag nicht über eine Datenpanne bei der „Qualitäts- und Unterstützungsagentur – Landesinstitut für Schule NRW“ (Qualis) informiert zu haben. “Ich finde das verwerflich. Das hätten Sie uns nicht verschweigen dürfen“, wetterte Müller Rech.
Schulministerin wird ungewohnt emotional
„Das weise ich zurück“, sagte Feller und erklärte, Qualis habe die Landesregierung erst am Dienstag über das wahre Ausmaß der Datenpanne informiert. Und dann platzte der Ministerin, die bisher im Kabinett als Musterbeispiel für Selbstkontrolle gilt, der Kragen:
„Da sage ich mal echt ganz deutlich. Ich finde im Ministerium Baustellen vor, da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Ich muss da echt mal deutlich werden. Ich kann nicht alle Baustellen gleichzeitig beheben“, grollte die 56-Jährige. In der nächsten Zeit könne auch irgendwo ein neues Problem „aufploppen“, weil sie nicht alle Baustellen gleichzeitig bearbeiten könne, so Feller. „Da müssen auch mal fairerweise alle Beteiligten auch auf die vergangenen Jahre gucken. Man muss mir auch die Zeit geben, dass wir gemeinsam da Struktur reinbringen.“
Steilvorlage für die Opposition
Fellers größte und wichtigste Baustelle ist das Rekrutieren zusätzlicher Lehrkräfte für die Schulen. Dass sie nun auch noch die Schüppe in die Hand nehmen muss, um Schäden im Soester Institut Qualis zu reparieren, kommt für sie zur Unzeit und gibt der Opposition die Gelegenheit, die Schulministerin als Pannen-Ministerin vorzuführen.
Qualis bietet im Auftrag des Schulministeriums „pädagogische Dienstleistungen“ an. Dazu zählen die Entwicklung des Unterrichts, der optimale Verlauf von zentralen Prüfungen und das „Lehren und Lernen im digitalen Wandel“. Zum Leitbild des Institutes gehört eine „professionelle, offene und wertschätzende Kommunikation nach innen und nach außen“. Das Schulministerium nährt aber nun Zweifel an der Professionalität dieser Kommunikation.
Aufpasser im Haus
Denn Qualis soll der Landesregierung tagelang die wahre Dimension der Datenpanne verheimlicht haben. Die Schwachstelle war laut Ministerium am Donnerstag auf einem Qualis-Server entdeckt worden. Schulen können dort über einen Testserver ganzjährig die Funktionsfähigkeit schulischer Hard- und Software testen, und Lehrkräfte könnten jederzeit darauf zugreifen. Erst hieß es, es seien 500 Datensätze zu Lehrerinnen und Lehrern frei einsehbar gewesen, dann stellte sich heraus, dass möglicherweise die Namen und Mail Adressen von mehreren tausend Lehrkräften ungeschützt im Netz standen. Wie lange, ist unbekannt. Vielleicht wochen-, monate- oder sogar jahrelang.
Das Institut hat jetzt die Aufpasser im Haus. Der private Dienstleister Ernst & Young wurde vom Land mit einer „umfassenden Analyse“ der Datenpanne beauftragt. Im Schulministerium wurde ein Kontroll-Team „IT-Sicherheit Qualis“ unter der Leitung von Schul-Staatssekretär Urban Mauer (CDU) eingerichtet. Die Schulministerin versprach im Landtag eine „objektive, intensive und nachhaltige“ Aufklärung.
SPD bittet die Landesdatenschutz-Beauftragte um Prüfung
Dilek Engin (SPD) warf Feller vor, es sei ihr bisher nicht gelungen, das Ausmaß der Daten-Panne aufzuklären. Sie verschiebe die Verantwortung ihres Hauses einfach auf die Arbeitsebene. Die SPD bittet jetzt die Landesdatenschutz-Beauftragte um Prüfung der Ereignisse.
Franziska Müller-Rech (FDP) befürchtet, dass das Desaster größer sei als Feller es bislang zugebe. Die Ministerin regiere „dünnhäutig“ auf Kritik.
Stefan Behlau, Landeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) dringt darauf, Sicherheitslücken in der IT schnell zu schließen: „Jede Datenpanne ist eine zu viel. Die Kolleginnen und Kollegen müssen in der Gewissheit arbeiten können, dass ihre Daten sicher sind.“
In der vergangenen Woche wurden die ersten Abiturklausuren in NRW wegen einer Panne beim Herunterladen von Prüfungsunterlagen von Mittwoch auf Freitag verschoben. Ein Technik-Experte des Schulministeriums schloss am Mittwoch aus, dass die jetzt im Institut Qualis entdeckte Schwachstelle Auswirkungen auf die laufenden Abitur-Prüfungen habe. Die Server des Zentralabiturs seien „physisch getrennt“ vom Test-Server und ähnelten sich nur optisch. Es sei unmöglich, über die Testdownloadserver an vertrauliche Prüfungsdokumente zu kommen.