Düsseldorf. Solarmodule und Wärmepumpen sind gut, aber wer baut sie ein? Die Grünen merken, dass Akademiker allein die Energiewende nicht stemmen.

Die Einschätzung, dass die Grünen eine Akademikerpartei seien, ist weit verbreitet. Tatsächlich wählen relativ viele Studierende und Menschen mit Hochschulabschlüssen die Grünen, wie die Wahlergebnisse in Unistädten zeigen. Umso auffälliger ist daher, dass die NRW-Grünen als Regierungspartei in diesen Tagen für die klassische Berufsausbildung trommeln. Die berufliche und die akademische Ausbildung sollten sich endlich auf Augenhöhe begegnen, heißt es jetzt.

Parteichefin Zeybek: "Ohne Fachkräfte ist alles hinfällig"

Am Sonntag treffen sich die NRW-Grünen in Herne zum „kleinen Landesparteitag“, der den Charakter eines harmonischen Familientreffen haben dürfte. Die Aufregung um Lützerath scheint abgehakt, der Windkraft-Ausbau gewinnt an Fahrt, der Traum von „Solar auf allen Dächern“ geht weiter. Allerdings treibt die Partei die Frage um, wer die ganzen PV-Anlagen montieren, wer die Wärmepumpen einbauen und Windmühlen warten kann. In NRW fehlten fast 400.000 Experten in fast allen Branchen, und dieser Mangel bremse unter anderem die Energiewende. „Alles ist hinfällig, wenn wir nicht genügend Fachkräfte haben“, sagte Landesparteichefin Yazgülü Zeybek am Freitag im Landtag.

Ausbildung ist genauso "1.Klasse" wie ein Studium

Und so hat die „Stärkung der beruflichen Ausbildung“ viel Raum in einem Parteitagsantrag zur Fachkräftegewinnung. Darin stehen Sätze, die nicht zur klassischen grünen Rhetorik gehören, wie „Handwerk hat goldenen Boden“. Die Ausbildung sei eine „Bildungsbiografie erster Klasse“, finden die Grünen. „Wir haben uns viel zu sehr auf die akademische Ausbildung konzentriert. Auch wir Grünen haben die Augen davor verschlossen, dass die Berufsausbildung gleichwertig ist und viele Vorteile hat im späteren Leben“, sagte Parteichefin Zeybek. Zu den Maßnahmen, die sie vorschlägt, zählen bessere Informationen zur Berufsausbildung „in allen Schulen“, also auch in den Gymnasien, außerdem besser ausgestattete Berufsschulen, bezahlte Praktika sowie Beratung für Studierende, die nicht mehr studieren möchten.

Handwerker hören die Signale der Grünen gern

Andreas Ehlert, Präsident des Dachverbandes „Handwerk NRW“, begrüßt den Vorstoß. „Es ist ein positives Signal, dass sich die NRW-Grünen konstruktiv und initiativ mit der überragend wichtigen Herausforderung der Stärkung der Fachkräfteversorgung befassen“, sagte Ehlert dieser Redaktion. Der Antrag enthalte die wichtige Botschaft, dass vorsorgende Bildungspolitik besser sei als nachsorgende Arbeitsmarktpolitik. „Diesen Gedanken teilen wir ausdrücklich“, lobte Ehlert.

Wie es aktuell um das Handwerk an Rhein und Ruhr steht, wird die dortige Kammer am 24. April erklären. In ihrem „Herbstgutachten“ war zuletzt davon die Rede, dass etwa die Hälfte der Unternehmen ihren Fachkräftebedarf nicht decken könne, und daran dürfte sich bis zum Frühjahr nicht viel geändert haben. Insbesondere in Boom-Branchen wie Heizung/Sanitär/Klima suchen Firmen oft vergeblich Bewerberinnen und Bewerber. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass jedes Jahr in NRW tausende Lehrstellen unbesetzt bleiben.

Nicht alle Vorschläge der Grünen gefallen den Praktikern

Nicht alles, was die Grünen in ihrem Antrag zur Fachkräftegewinnung fordern, gefällt den Handwerkern. Zum Beispiel regt die Partei eine „theoriereduzierte Ausbildung“ für Menschen mit Behinderungen an. Standards dürften nicht abgebaut werden, mahnt Ehlert. Im Gegenteil: „Wir werden mehr Kompetenzen brauchen – für moderne Gebäudeausrüstung, für neue Mobilitätskonzepte, für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung.“

Auch der Ruf der Grünen nach einer Ausbildungsgarantie und danach, dass vor allem solche Betriebe öffentliche Aufträge erhalten sollten, die Lehrlinge ausbilden, kommt bei Andreas Ehlert nicht gut an: „Es hilft nicht weiter, wenn wir das Vergaberecht verkomplizieren. Damit erschwert man Betrieben, die keine Auszubildenden finden, die wirtschaftliche Betätigung. Wir schaffen mehr neue Probleme, als wir dadurch lösen können.“

Positiv bewertet der Dachverband, dass die Grünen die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland erleichtern möchten. Die bürokratischen Hürden müssten von einer „umfassenden Willkommenskultur“ abgelöst werden. Schon in ihren Heimatländern sollten die Arbeitskräfte die deutsche Sprache lernen, um hier schneller durchstarten zu können.

Fachkräfte-Offensive

Schwarz-Grün hat im Koalitionsvertrag eine Fachkräfte-Offensive fürs Handwerk vereinbart. Kern ist die Stärkung der dualen Ausbildung. Es geht zum Beispiel um die Förderung der Meisterausbildung und kleine Fachklassen im Handwerk. Gerade kleineren Unternehmen wollen CDU und Grüne bei der Anwerbung und Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften helfen. Die Grünen werden beim Parteitag auch darauf dringen, Hürden bei der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen abzubauen und insgesamt mehr Jugendliche zum Schulabschluss zu führen. Allein in NRW hätten im letzten Jahr 17.000 junge Menschen keine Lehrstelle bekommen, 40.000 junge Menschen seien in Übergangsprogrammen gewesen.