Düsseldorf. SPD und FDP lassen das Aushebeln der Schuldenbremse in NRW vom höchsten Gericht überprüfen. Dabei geht es um eine grundsätzliche Frage.
Die Landtagsopposition aus SPD und FDP hat der schwarz-grünen Regierungskoalition in der Haushaltspolitik einen „Versuch der politischen Geldwäsche“ und das gezielte Aushebeln der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse vorgeworfen. Beide Landtagsfraktionen brachten am Montag die erwartete Klageschrift auf den Weg zum NRW-Verfassungsgericht nach Münster. Ziel des Verfahrens ist es, die rechtlichen Spielräume einer Landesregierung zur Umgehung des Neuverschuldungsverbots erstmals in NRW genauer zu bestimmen.
Der Bielefelder Rechtsprofessor Simon Kempny, der SPD und FDP als Prozessbevollmächtigter vertritt, sprach von „juristischem Neuland“. Seit 2020 dürfen die Bundesländer keine neuen Kredite mehr in Anspruch nehmen, sondern müssen mit dem vorhandenen Steueraufkommen wirtschaften. Lediglich in einer Rezession oder bei Naturkatastrophen gibt es Ausnahmen, damit der Staat nicht gegen die Krise anspart. Wie weit der Begriff der „außergewöhnlichen Notsituation“ von einer Regierungsmehrheit im NRW-Landtag gedehnt werden darf, ist rechtlich bislang nicht geklärt worden.
Corona als Ausrede für Schuldenpolster?
„Für die Vorschriften der sogenannten Schuldenbremse kommt es ganz zentral auf die Frage an, ob wir uns in einem Bereich bloß konjunkturellen Aufs und Abs befinden oder in einer Finanzkatastrophe“, sagte Kempny. Konkret werfen SPD und FDP der schwarz-grünen Koalition von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) vor, sich trickreich ein Finanzpolster auf Pump für normale politische Projekte angelegt zu haben. Zunächst sei die Corona-Ausnahmelage im vergangenen Jahr genutzt worden, um den Pandemie-Rettungstopf mit 4,15 Milliarden Euro „ohne erkennbaren Bedarf“ zu bevorraten. Die Verfassung erlaube jedoch keine solche kreditfinanzierte Rücklage.
Für das laufende Haushaltsjahr 2023 wurde dann ein „NRW-Krisenbewältigungsgesetz“ mit Kreditermächtigungen über fünf Milliarden Euro beschlossen, mit dem vorgeblich die Folgen des Ukraine-Krieges abgefedert werden sollen. Der Konjunktureinbruch blieb in NRW aus, außerdem gab es zuletzt sogar Haushaltsüberschüsse. „Es ist eine Unsitte der jüngeren Zeit, dass Gesetze immer klangvollere Titel und immer schlechtere handwerkliche Qualität bekommen“, sagte Kempny. Der scheidende SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sprach von „den chaotischsten Haushaltsberatungen, die das Parlament ertragen musste“. Die aus dem Schuldentopf bezahlten Projekte hätten mitunter gar keinen Ukraine-Bezug, kritisiert die Opposition. Dazu gehörten ohnehin fällige Investitionen in den Katastrophenschutz oder die Anschaffung von Satellitentelefonen für das Kulturministerium.
Kredite dürfen vorerst weiter ausgegeben werden
Da SPD und FDP beim Verfassungsgericht keinen Eilantrag stellen, sondern eine juristische Klärung im Hauptsacheverfahren anstreben, greift die Klage zunächst nicht in den Haushaltsvollzug ein. Schwarz-Grün kann die möglicherweise verfassungswidrigen Kredite also vorerst weiter ausgeben. CDU-Finanzexperte Olaf Lehne verteidigte den Finanzkurs: „Mit dem Haushalt 2023 sowie dem Sondervermögen zur Krisenbewältigung sind wir in der Lage, kraftvoll zu helfen und gleichzeitig flexibel auf die Lage in unserem Land zu reagieren.“