Düsseldorf. Der vom Bund geplante beschleunigte Autobahnausbau zwingt die Koalition in NRW, bei 66 Staufallen schnell Farbe zu bekennen.

Inhaltliche Differenzen konnten CDU und Grüne seit Bildung ihrer ersten Koalition in NRW im vergangenen Sommer bislang professionell kaschieren. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne) verbreiten öffentlich Harmonie und schöne Bilder, im Regierungsalltag behilft man sich im Zweifel mit der konsensfähigen Formel „Der Bund muss handeln“. Der denkwürdige Koalitionsausschuss der Ampel in der vergangenen Woche hat den Partnern nun aber ein Problem vor die Tür gerollt, zu dem man sich verhalten muss: Das Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung.

Auf Betreiben von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sollen besonders wichtige Projekte des Bundesfernstraßennetzes noch einmal gesondert priorisiert werden. Wissing hat eine Liste mit 144 Projekten zu Engpassbeseitigungen und Lückenschlüssen veröffentlicht. Für sie soll gesetzlich das „überragende öffentliche Interesse“ festgeschrieben werden, damit Umweltprüfungen entfallen und schneller gebaut werden kann. Da das Beschleunigungsgesetz durch den Bundesrat muss, ist Wissing auf das Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen Bundesland angewiesen.

Fast alle Staustellen in NRW finden sich auf Wissings Liste

Allein 66 der 144 Projekte liegen in NRW. Deshalb schauen nun viele Verkehrspolitiker, Logistikunternehmer und geplagte Pendler nach Düsseldorf. Die Liste führt gleich 14 Engpässe an der A3 auf, zwölf an der A1, jeweils sechs an der A57 und der A52, jeweils fünf an der A43 und A45 und vier an der A40, so dass fast alle bekannten Staufallen priorisiert werden sollen. Für die Grünen in Bund und Land ist der Autobahnausbau eine große Kröte, die sie schlucken müssen, denn eigentlich stellen sie sich unter der Verkehrswende etwas Anderes vor.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte gleich nach der Ampel-Einigung das Mitspracherecht der Länder. Also muss nun die schwarz-grüne Koalition in NRW eine Linie finden. Martin Metz, Verkehrsexperte der Grünen im Landtag, stellte auf Anfrage klar: „Wir Grüne sehen im flächendeckenden Neu- und Ausbau von Autobahnen kein geeignetes Mittel zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse. Unter anderem für den Klimaschutz ist eine Verkehrsverlagerung hin zu umweltfreundlichen Alternativen zum Auto erforderlich.“

„Offen gesagt habe ich kein Verständnis für die Prioritäten"

Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) verweist zudem auf Umsetzungsschwierigkeiten: „Offen gesagt habe ich kein Verständnis für die Prioritäten des Bundesverkehrsministers. Statt sich monatelang mit 144 Ausbauprojekten zu beschäftigen, hätte ich mal gerne eine Antwort auf die Frage, wie Herr Wissing 873 Autobahnbrücken allein in NRW in den nächsten zehn Jahren sanieren will.“ Tatsächlich kommt die Bundesautobahngesellschaft mit der Instandsetzung nicht nach, weil Ingenieure und Fachkräfte fehlen: „Bevor wir uns mit den Ausbauprojekten des Bundes beschäftigen, brauchen wir Klarheit darüber, wie der Bund die Sanierung bewältigen will“, findet Krischer. Man benötige „keine neuen Planungsfriedhöfe“, während gleichzeitig bei der Sanierung Geld und Personal fehle.

Koalitionspartner CDU setzt einen auffällig anderen Ton. Dem verkehrspolitischen Sprecher der Landtagsfraktion, Oliver Krauß, gehen Wissings Pläne zur Engpassbeseitigung nicht weit genug: „Wir erwarten, dass andere, für unser Land wichtige Vorhaben durch die Priorisierung nicht zurückgestellt werden. Denn dringender Handlungsbedarf besteht ebenso bei Verbindungen ohne einen besonderen Engpass.“ Das von den Grünen im Bund ausgehandelte Einvernehmen mit den Ländern sieht Krauß kritisch: „Dies würde zu erneuten Verzögerungen führen.“

FDP macht Druck: Schwarz-Grün muss jetzt Farbe bekennen

Die FDP-Opposition im Landtag erwartet, dass Schwarz-Grün die Listen-Projekte nicht ausbremst: „Es ist jetzt an der Landesregierung, ob sich Nordrhein-Westfalen als Wirtschaftsstandort entwickeln kann oder verliert“, findet Verkehrsexperte Christof Rasche. Der Liberale verweist darauf, dass der Güterverkehr ja nicht durch intakte Straßen zunehme, sondern durch den Bedarf der Gesellschaft. Eine Prognose des Bundesverkehrsministeriums sage bis 2051 eine Steigerung des Güterverkehrs auf der Straße um 54 Prozent voraus. Das hänge auch damit zusammen, dass sogenannte Stück- und Sammelgüter künftig vermehrt transportiert werden müssten. Massen- und Energiegüter wie Kohle und Öl hingegen, die bislang vornehmlich über Schiene und Wasser geliefert wurden, würden auf Sicht weniger werden.