Essen. Sommersemester wird zum ersten „ChatGPT-Semester“: Experten warnen vor den Risiken beim Einsatz des revolutionären Sprachroboters an Hochschulen.

Schreibst du noch oder chattest du schon? Für Studierende und Schüler dürfte die Verlockung groß sein, Sprachmodelle wie ChatGPT zu benutzen, anstatt mühsam eigene Recherchen zu Papier zu bringen. Auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Programme wie der kürzlich aktualisierte Sprachroboter ChatGPT verfassen auf Anfrage Texte, die sich lesen wie von klugen Menschen verfasst. Das stellt bisherige Lehr- und Prüfungsformate auf den Kopf. Die Hochschulen in NRW stellen sich vor dem Start des Sommersemesters Anfang April mit Hochdruck darauf ein, das revolutionäre Systeme in Lehrveranstaltungen und Prüfungen zu integrieren. Nur wie?

Alle Hochschulen sollten „die volle Kraft von KI-Systemen wie ChatGPT für die Ausbildung entfesseln“, lautet die Forderung eines Experten-Papiers der Universität Hohenheim in Stuttgart. Bereits zum Sommersemester sollen die Studierenden den Sprachroboter in einigen Pilotprojekten einsetzen, teilt die Uni mit und sieht sich damit offenbar als bundesweite Vorreiterin.

Schwächen und Risiken von ChatGPT

Lehrveranstaltungen vorbereiten, Prüfungen entwerfen, für das Examen lernen und Seminararbeiten anfertigen – in allen Bereichen von Studium und Lehre sieht die Uni enormes Potenzial. „Wenn die Studierenden und die Dozentinnen und Dozenten die neuen Werkzeuge durchdacht, effizient und verantwortungsvoll einsetzen, könnte das ganze Hochschul-Bildungssystem in hohem Maße davon profitieren“, ist Prof. Henner Gimpel, Leiter des Fachgebiets Digitales Management, überzeugt.

Andere sind sich da weniger euphorisch und sehen noch erhebliche Schwächen und Risiken beim Einsatz von KI-Sprachmodellen. Für wissenschaftliches Arbeiten sei der Chatbot bislang kaum tauglich, findet Prof. Erich Schubert, Professor für Data Mining am Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz an der TU Dortmund. „Ich werde den Umgang mit ChatGPT in meinen Seminaren diskutieren, aber ich werde im Wesentlichen vor der Verwendung warnen“, sagt der Informatiker.

Hilfreich eher bei bei kreativen Aufgaben

Denn ChatGPT produziere bei allen komplexeren Fragestellungen gerne falsche Antworten und erfinde Quellen – die Experten sprechen von „halluzinieren“. Das könne Studierenden „ziemliche Probleme“ bereiten, so Schubert. Die Verwendung solcher Sprachmodelle „kann nach hinten losgehen, wenn man da naiv herangeht“.

An seinem Lehrstuhl an der Fakultät für Informatik habe er bereits verschiedene Sprachmodelle getestet und ausprobiert, ob und wie sie sich in der Lehre einsetzen lassen, etwa als Tutor-System, also als eine Art intelligente Lernhilfe. „Das Problem ist nur: Sie machen dauernd Fehler!“ ChatGPT sei hilfreich bei kreativen Aufgaben, als Ideengeber oder als Formulierungshilfe - für „faktenbasiertes Arbeiten“ eigne es sich bisher weniger.

Die Angst vor dem leeren Blatt

Ähnlich sieht es Dr. Peter Salden, Leiter des Zentrums für Wissenschaftsdidaktik an der Ruhr-Uni Bochum. ChatGPT könne helfen, die sprichwörtliche „Angst vor dem leeren Blatt“ zu vermeiden. Auch als Dialogpartner bei der Ideenfindung sei der Sprachroboter nützlich. Ein Risiko sei jedoch, dass Studierende dem digitalen Werkzeug zu sehr vertrauen und sich nicht klar darüber sind, dass die flüssig formulierten Antworten nicht unbedingt wissenschaftlich korrekt sind.

Auch interessant

Bereits 2020 wurde an der Ruhr-Uni das Projekt „KI:edu.nrw – Didaktik, Ethik und Technik von Künstlicher Intelligenz in der Hochschulbildung“ gestartet. Die Bochumer Uni ist „Pilothochschule“ in NRW, um die Auswirkungen von KI-Anwendungen an Hochschulen zu erproben. Im Auftrag der Landesregierung veröffentlichte sie kürzlich mit der Uni Münster ein Gutachten als erste rechtliche Bewertung von KI-Schreibwerkzeugen an Hochschulen, etwa zu Fragen von Urheberschaft und Plagiaten.

Schulungen und Information nötig

Alle Fakultäten würden sich derzeit intensiv mit der Thematik auseinandersetzen, erklärt Salden. Natürlich lasse sich ChatGPT nicht mehr aus den Hochschulen verbannen oder gar verbieten. Das sei auch gar nicht sinnvoll. „Nach unserer Einschätzung werden KI-basierte Tools zur Texterstellung ein selbstverständlicher Teil der akademischen Arbeitsumgebung sein“, sagt Salden. Intensive Vorbereitungen zum Einsatz von ChatGPT, Information, Schulung und Austausch seien nun für alle Beteiligten wichtig. Bemerkenswert: Das moderne System mache klassische Lernziele wieder wichtiger, wie kritisches Denken und Hinterfragen sowie methodengeleitetes Arbeiten.

Auch Schubert bietet seinen Studierenden an der TU Dortmund entsprechende Seminare an. Sie müssten lernen, die vom Roboter formulierten Texte genau zu prüfen, denn Fehler oder gar Plagiate müssten sie am Ende selbst verantworten. Die Hochschullehrer seien jetzt für das Thema sensibilisiert und schauten noch genauer hin, ob Aussagen in studentischen Arbeiten korrekt und belegt sind.

Neue Prüfungsformate

„In Bezug auf Prüfungen ist ChatGPT in vielen Fällen nur eine weitere Art abzuschreiben“, findet Schubert. „Wer das macht, ist selbst schuld, weil er dabei nicht viel lernt – und sich gegebenenfalls die Note versaut.“ Eine Konsequenz werde sein, dass Online-Klausuren wie während der Coronazeit künftig nicht mehr möglich sein werden. „Mit ChatGPT wäre es viel leichter, zu betrügen. Es wird daher sicher eine Rückkehr zur klassischen Papierklausur sowie zu mündlichen Prüfungen geben.“ Manche Hochschullehrer und -lehrerinnen würden bereits dazu übergehen, schriftliche Aufgaben durch mündliche Abfragen zu ergänzen, bestätigt Salden.

Auch die Uni Duisburg-Essen (UDE) bereitet sich auf den Einsatz von ChatGPT in der Lehre und bei Prüfungen vor. Auf Basis des Rechtsgutachtens der Unis Bochum und Münster werden derzeit einheitliche Handlungsempfehlungen erarbeitet, damit die Studierenden nicht mit unterschiedlichen Vorgaben kämpfen müssten, teilt die Uni mit.

Aufgeregte Debatte wie beim Taschenrechner

Prof. Stefan Rumann, Prorektor für Studium und Lehre an der UDE, plädiert für Gelassenheit in der aufgeregten Debatte um ChatGPT: „Perspektivisch ist eine Veränderung der Prüfungsanforderungen, weg von reproduktiven Aufgabenstellungen und hin zu einem kompetenzorientierten Textverständnis durchaus eine Chance“, so Rumann. Die besorgte Diskussion um den Sprachroboter erinnere ihn an die Einführung des Taschenrechners in den 1970er-Jahren.

Unter dem Strich werde das wissenschaftliche Arbeiten für Studierende und Lehrende durch ChatGPT nicht unbedingt einfacher, merkt der Dortmunder Informatiker Schubert an. Denn man müsse nicht nur den Umgang mit diesen Systemen erlernen und die Funktionsweise kennen, sondern darüber hinaus die Fehler der KI erkennen und verbessern. Das bedeutet: „Sie müssen künftig besser sein als die KI.“