Essen. Chat GPT sorgt für Aufregung an Schulen und Hochschulen. Die Künstliche Intelligenz kann Fachtexte, Referate oder ganze Hausarbeiten schreiben.
An Schulen und Universitäten herrscht Alarmstimmung. Der verbesserte Textgenerator Chat GPT kann Hausarbeiten, Klausuren, Referate und Fachtexte schnell, textsicher und kostenlos verfassen, die Ergebnisse sind von „menschlichen“ Formulierungen kaum zu unterscheiden. Verändert Künstliche Intelligenz die Bildung? Wie lernen wir in Zukunft? Erleben wir eine Rückkehr der mündlichen Prüfungen? Solche Fragen treiben derzeit Experten und Lehrkräfte um.
Die große Sorge ist: Eine künstliche Intelligenz, die auf Aufforderung Aufsätze und Artikel zu allen möglichen Themen erstellt, könnte dafür sorgen, dass Studierende an Unis oder Jugendliche an Schulen künftig auf Chat GPT setzen anstatt auf Eigenleistungen.
„Ich bin ein großes Sprachmodell“
Wenn man den Chatbot bittet, sich einmal kurz vorzustellen, antwortet er folgendermaßen:
„Ich bin ein Assistent, ein großes Sprachmodell, das von OpenAI trainiert wurde. Ich bin in der Lage, auf Fragen und Anfragen in verschiedenen Sprachen zu antworten und Informationen bereitzustellen. Ich kann auch in der Lage sein, kleine Unterhaltungen zu führen und menschenähnliche Antworten zu geben. Ich bin jedoch keine echte Person und habe keine persönlichen Erfahrungen oder Meinungen. Mein Wissensstand ist auf das Jahr 2021 beschränkt und ich habe keine Möglichkeit, aktuelle Ereignisse zu verfolgen oder neue Informationen zu erhalten.“ Und so fort.
Die Besonderheit des Tools seine simple Bedienbarkeit. Chat GPT ist im Grunde so simpel zu benutzen wie Google. Doch wo die Suchmaschine relevante Internet-Links zu einer Anfrage liefert, gibt Chat GPT flüssig ausformulierte Antworten, die sich direkt auf die Fragestellung beziehen. Entspricht die Antwort nicht dem Anspruch des Nutzers, kann er die KI bitten, konkreter zu werden.
Durchbruch in der KI
Das Sprachmodell schöpft bei seinen Antworten aus einem Fundus von Millionen Wikipedia-Artikeln, Büchern und Websites. Dabei besteht diese Wissensbasis fast ausschließlich aus englischsprachigen Texten. Ein Übersetzungsprogramm ist integriert, was nach Meinung der Kieler Wirtschaftsinformatikerin Doris Weßels aber „mitunter zu tragischen Missverständnissen in der Kommunikation“ führen könne. Insgesamt aber seien die Ergebnisse des Sprachmodells „beeindruckend und verstörend“. Und Weßels ist sich angesichts der rasanten technischen Entwicklung sicher: „Das ist erst der Anfang.“
Prof. Katharina Morik, Informatikerin an der TU Dortmund, sieht das ähnlich: „Chat GPT ist ein Durchbruch in der KI“, meint die Leiterin des Lehrstuhls für Künstliche Intelligenz. „Ich bin von der Qualität der Texte beeindruckt und kann sie nicht von menschlichen Texten unterscheiden“, sagte sie nach einem Test. Die Ergebnisse seien fachlich korrekt und „in einem besseren Englisch als ich es beherrsche“.
Neue Prüfungsmethoden gefragt
Das könne nicht ohne Folgen für die Lehr- und Prüfungspraxis an Hochschulen bleiben. Morik: „Wir können das Verständnis von Fachtexten und den Wissensstand nicht mehr über schriftliche Ausarbeitungen abprüfen. Wir wollen ja wissen, ob Studentinnen und Studenten Wissen erworben haben und damit umgehen können. Insofern sind mündliche Prüfungen und das Lösen von Aufgaben unter Verwendung des erlernten Wissens geeignete Prüfungsmethoden.“
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Eine durchschnittliche Hausarbeit sei für die KI kein Problem, schwieriger aber werde es bei Master- oder Doktorarbeiten, meint der Neurobiologe Lutz Wallhorn aus Oberhausen, der derzeit an der Uni Bremen forscht. Aber bis das System auch komplexere Aufgaben beherrsche, vergehe angesichts der bisherigen Fortschritte sicher nicht viel Zeit. An seiner Uni werde bereits darüber diskutiert, wie man die Prüfungsformate verändern müsse.
Informatik-Grundlagen vermitteln
Dafür plädiert auch Katharina Morik: „Es ist die Aufgabe aller Fakultäten, neue Prüfungsmethoden zu entwickeln, die auf dem jeweils angemessenen Niveau einbeziehen, dass es Chat GPT gibt. Es ist eine Herausforderung“, sagt sie und regt an, dass die Grundlagen der Technik bereits in Schulen vermittelt werden sollten, damit junge Menschen verstehen könnten, wie die Systeme arbeiten. „Die jahrzehntelange Vernachlässigung des maschinellen Lernens in Deutschland rächt sich jetzt, weil wir viel zu wenige auf dem langen Weg zu diesem hochkomplexen System mitgenommen haben.“
Die Hochschulen beobachten die Entwicklung jedenfalls sehr aufmerksam, seit der Chatbot Ende 2022 auf den Markt kam. Welche Veränderungen das Tool für die Lehr-, Lern- und Prüfungskultur an Schulen und Hochschulen bringen werde, sei noch gar nicht abzusehen, sagte Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbands in Bonn, dieser Redaktion. „Keineswegs aus der Luft gegriffen ist die Sorge, dass es zusehends schwieriger werden könnte, die Vortäuschung eigenständiger Leistungen etwa in Hausarbeiten zu erkennen, weil fortlaufend optimierte KI-Tools in absehbarer Zeit anspruchsvolle Texte generieren könnten, die faktisch und juristisch nicht als Plagiate zu werten sind.“
Herausforderung für Schulen
Auch wenn das System in der Anwendung vielfach verblüffe, arbeite es aber keineswegs fehlerfrei. „Eine vertiefte geistige Auseinandersetzung mit Inhalten kann er lediglich vorgaukeln, allerdings weder leisten noch bieten“, meint Jaroch.
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Nach Einschätzung des Lehrerverbands VBE in NRW ist bekannt, dass Schüler und Schülerinnen die KI bereits benutzen. Es klingt fast ein wenig resigniert, wenn der VBE-Vorsitzende Stefan Behlau sagt: „Angesichts der rasanten Entwicklung im Bereich der KI würde es für die Schule wohl immer ein Hase-Igel-Spiel sein, wenn Kolleginnen und Kollegen sämtliche Textproduktionen von Schülerinnen und Schülern auf echte Eigenleistung überprüfen müssten.“ Das sei in der schulischen Praxis schlicht nicht zu leisten. Aufgabe der Schulen sei es vielmehr, Kinder und Jugendliche zu einer kritischen Auseinandersetzung mit technischen Hilfsmitteln anzuleiten, so Behlau.
Lehrkräfte im Umgang mit KI schulen
„Tatsächlich könnten Kinder und Jugendliche auf die Idee kommen, schnell etwas leisten zu können, ohne etwas verstanden zu haben“, sagt Informatik-Professorin Katharina Morik. „Das ist eine Gefahr.“ Allerdings: Wenn durchschnittliche Schüler plötzlich elegante und womöglich ähnliche Texte verfassten, werde dies auffallen. Die Lehrkräfte müssten ihren Schülern vermitteln, dass es dennoch sinnvoll ist, sich Wissen anzueignen und eigenständig zu denken, anstatt dies einer Maschine zu überlassen. Die Pädagogen müssten daher im Umgang mit KI geschult werden, zudem müsse das nötige Wissen bereits im Lehramtsstudium verankert werden, fordert sie.
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Chat GPT ist nach ihrer Ansicht aber weit mehr als nur eine Schummel-Software für Schüler und Studenten. „Wir sollten nicht immer nur auf die Nachteile sehen. Chat GPT bietet enormes ökonomischen Potenzial, da sich viele aufwendigen Verwaltungsaufgaben jetzt automatisieren lassen. Und womöglich kommen wir am Ende auch zu besseren und effektiveren Lehr- und Lernformen.“
Das System ist in der Welt
Klar ist: Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Schulen und Hochschulen müssten sich der Frage stellen, wie man KI-Systeme besser in Unterricht und Lehre einbinden könne und welche Kompetenzen Lehrende, Studierende sowie Schülerinnen und Schüler dafür benötigten, schreibt Wirtschaftsinformatikerin Doris Weßels in einem Gastbeitrag für das Hochschulforum Digitalisierung. Offen sei auch, wie man Leistungen bewerten soll, die mit Hilfe von KI entstanden sind. Politik, Wissenschaft und Lehrende seien nun gefordert, darauf Antworten zu finden.
Die Hoffnung, eine Art „Anti-KI“ könne die Entwicklung neutralisieren, dürfte trügerisch sein. Vor wenigen Tagen ging die Seite „GPT Zero“ online, die KI-Plagiate erkennen will. Das Hase-Igel-Spiel hat begonnen.