Hagen. Die AWO Ruhr-Mitte „rettet“ eine halbe Million Schutzmasken aus dem Landeslager in Hagen. Voll ist das Lager aber immer noch.

Geheim ist das Lager, jedenfalls soll es möglichst unbekannt bleiben. Von außen ahnen Betrachter nicht, dass das Land NRW hier, in einer schmucklosen Hagener Halle, riesige Mengen Masken, Kittel und andere medizinische Schutzausrüstung hortet. In den ersten Monaten der Corona-Pandemie kaufte das Land diese Ware zum Teil für Mondpreise auf dem Weltmarkt. Nun läuft nach und nach die Haltbarkeit ab, und Millionen dieser Artikel müssten verbrannt werden. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat am Freitag 540.000 Schutzmasken „gerettet“ und ins türkische Erdbebengebiet geschickt.

"Stell dir vor, das würde im Ofen landen"

„Stell dir vor, das würde im Ofen landen. Das bricht einem das Herz“, sagt Serdar Yüksel (SPD), Vorsitzender der AWO Ruhr-Mitte und Chef des Landtags-Petitionsausschusses. Er steht in der größten von fünf auf NRW verteilten Lagerstätten, die gemeinsam ein „Landeslager“ für Schutzausrüstung bilden. In einem Vorraum ruhen auf 36 Paletten Pakete mit je 1500 Masken der Typen „FFP2“- und „OP-Maske“.

Wohin diese Ware geht, ist kein Geheimnis: Auf den Kartons pappen „AFAD“-Aufkleber und Hinweise auf das türkische Innenministerium. „AFAD“ ist der türkische Katastrophenschutz. Der türkische Generalkonsul in Düsseldorf hat eine Bescheinigung dazu gelegt. Mit Stempel und Unterschrift bittet er alle Grenzbehörden darum, diese Hilfsgüter nicht aufzuhalten. Sie müssten schnell in die Krisenregion.

Von Antwerpen nach Gebze bei Istanbul

In zwei Übersee-Containern wurden die Masken am Wochenende per Lastwagen zunächst zum Hafen von Antwerpen gefahren. Zielhafen sei zehn Tage später Gebze bei Istanbul, erzählt Muhammed Topac von der Spedition Alpha Trans.

Serdar Yüksel war entsetzt, als es vor ein paar Wochen hieß, NRW müsse einen großen Teil seiner nicht mehr lange haltbaren Schutzausrüstung verbrennen. Der Fachbegriff dafür -- „thermische Verwertung“ -- bereitet dem Wattenscheider Unbehagen. „Es gibt Regionen in der Welt, die haben gar keine Schutzausrüstung“, sagte er im Landtag. Anderswo würden Masken und Schutzkittel, die nach deutschem Standard nicht mehr taugten, dringend benötigt. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) stimmt dem im Grunde zu: „Natürlich täte es sehr weh, Schutzausrüstung vernichten zu müssen, für die man vor gar nicht so langer Zeit Tag und Nacht kämpfen und viel Geld bezahlen musste“, sagte er im Interview mit dieser Zeitung.

Wie steht es um die Nachfrage?

Aber gibt es überhaupt eine nennenswerte Nachfrage dafür? Darüber streiten sich die Experten. „Der bisherige Austausch mit den insbesondere in den Erdbebengebieten der Türkei und Syrien operierenden Hilfsorganisationen hat gezeigt, dass dort derzeit vorrangig andere Hilfsgüter benötigt werden“, sage ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums dieser Redaktion. Man rechne daher nicht damit, dass Hilfsorganisationen größere Mengen Schutzausrüstung aus Landesbeständen bestellen würden. Mit der aktuellen Nachfrage werde das Landeslager jedenfalls nicht leer.

Einer der Feuerwehrleute, die auf das Hagener Lager aufpassen, erzählt aber, dass es durchaus Interesse gebe. „Hier geht ständig was raus“, sagt er. Zu den Abnehmern zählten zum Beispiel Krankenhäuser und Pflegeheime in NRW. Einen Blick in die große „Schatzkammer“ erlauben die Wehrleute nicht. Die sei ja geheim, heißt es. Sicher ist, dass die AWO nur einen winzigen Teil der eingelagerten Ware mitnimmt. Allein hier in Hagen sollen fast 3000 Paletten stehen mit Masken, Kitteln, Plastikvisieren und anderen Dingen, die die Menschen in der Pandemie schützen sollten.

Humanitäre Hilfe von der AWO

Die FFP2- und OP-Masken, die die AWO Ruhr-Mitte vom Land bekommen hat, sind übrigens noch eine Weile haltbar. Laut den Aufklebern auf den Kartons noch bis Mai beziehungsweise September 2024. Selbst wenn das Datum schon weit überschritten wäre, hätte die AWO kein Problem damit, diese Schutzausrüstung in Krisengebiete zu schicken. Schutzwirkung habe sie womöglich noch jahrelang, glauben die Helfer.

Serdar Yüksel war in der vergangenen Woche fünf Tage in der Türkei. Er kaufte im Auftrag der AWO elf Tonnen Lebensmittel, die dann in der Erdbebenregion verteilt wurden. „Unvorstellbar“ sei die Situation dort, berichtet er. Allein in der Großstadt Adiyaman seien mehrere tausend mehrstöckige Häuser eingestürzt. „Die Zahl der Erdbeben-Toten in der Türkei ist um ein Vielfaches höher als die, die offiziell verbreitet wird“, versichert der Politiker.

Die Arbeiterwohlfahrt kehrt mit Hilfsaktionen wie diesen übrigens zu ihren Wurzeln zurück: In der Not unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 spendete sie Hungernden Speisen und Frierenden Wärme. In dieser Tradition eröffnete die AWO bisher insgesamt 20 „Wärmestuben“ für Menschen in der Ukraine und verteilt immer wieder Hilfsgüter dort.

Drei weitere Paletten mit Schutzhandschuhen möchte der Wohlfahrtsverband in den nächsten Tagen per Luftfracht in die Türkei schicken. Sie stammen aus den längst geschlossenen Impfzentren in NRW, sind also auch ein Erbe der Pandemie. Als Corona begann, mussten sich die Menschen den Schutz selbst nähen. Zum Ende gibt es alles im Überfluss.

Interessierte, bitte melden!

Das NRW-Gesundheitsministerium sucht noch viele Abnehmer für die Produkte. „Grundsätzlich können sich nach wie vor Hilfsorganisationen, die Schutzausrüstung für den Einsatz in Drittstaaten benötigen, beim Landeslager unter der E-Mail-Adresse psa@brms.nrw.de melden“, erklärt ein Sprecher. Zuständig für das Landeslager ist die Bezirksregierung Münster. Eingelagert sind unter anderem noch mehr als sieben Millionen Schutzkittel und zehn Millionen Schutzmasken.