Düsseldorf. Nach der Anklage gegen fünf Polizisten im Fall des erschossenen 16-jährigen Flüchtlings geht es jetzt um Ausbildung und Einsatzmittel.
Nach der Anklage gegen fünf Polizisten im Fall des in Dortmund erschossenen minderjährigen Flüchtlings nimmt die politische Debatte über Ausbildung und Einsatztaktik Fahrt auf. „Uns ist klar: Dieser Einsatz, bei dem ein 16-jähriger senegalesischer Flüchtling auf tragische Weise ums Leben kam, hat vor allem bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte Vertrauen beschädigt, das wir wieder herstellen müssen“, erklärte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange am Mittwoch.
Die Grünen-Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek forderte, dass unabhängig von der gerichtlichen Aufarbeitung grundlegende Konsequenzen gezogen werden müssten: Der Einsatz in Dortmund habe wieder einmal gezeigt, „dass die Polizei für den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sensibilisiert werden muss“. Strukturelle Veränderungen in der Polizeiausbildung seien nötig, so Zeybek gegenüber unserer Redaktion. „Polizistinnen und Polizisten sollten so ausgebildet werden, dass sie in Situationen wie diesen deeskalieren können.“
Anfang August 2022 waren insgesamt zwölf Polizeibeamte zu einer Jugendhilfeeinrichtung im Dortmunder Norden gerufen worden. Ein unbegleiteter Flüchtling saß in Suizidabsicht mit einem Messer vor dem Bauch im ummauerten Innenhof. Mouhamed D., der zuvor bereits in einer Psychiatrie vorstellig geworden war, habe apathisch mit dem Gesicht zu einer Mauer gesessen, sagten Zeugen aus.
Aus dieser „statischen Lage“, wie es im Einsatz-Deutsch heißt, wurde nach missglücktem Einsatz von Pfefferspray und Taser schlagartig eine dramatische Eskalation. Der junge Afrikaner wollte offenbar weglaufen, was der Sicherungsschütze der Polizei als Angriff auf seine Kollegen wertete. Er eröffnete mit einer Maschinenpistole das Feuer und tötete den Jugendlichen.
Anklage wegen Totschlags gegen den Polizisten an der Maschinenpistole
Der 29-jährige Schütze muss sich nun wegen Totschlags vor Gericht verantworten. Drei weitere Beamte werden wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, der damals eingesetzte Dienstgruppenleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung.
„Es muss geprüft werden, inwieweit die Aus- und Fortbildung der Polizei angepasst werden muss“, findet auch Julia Höller, Grünen-Innenexpertin im Landtag. Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), warnte vor einer Vorverurteilung: „Wir müssen jetzt das Verfahren, die lückenlose Aufklärung und das Urteil abwarten. Erst dann wird es möglich sein, Konsequenzen für die Polizeiarbeit zu ziehen.“ Die Tatsache, dass einer seiner Kollegen wegen Totschlags angeklagt wird, nannte Mertens „alarmierend“.
Anfängliche Spekulationen über rassistische Motive der Polizisten haben sich als Verschwörungstheorie erwiesen. Dass es zu einer Anklage kommt, ist laut Kriminologe Tobias Singelnstein aber keine Selbstverständlichkeit. Nur wenige Fälle von angezeigter Polizeigewalt landeten erfahrungsgemäß am Ende vor Gericht. Auch im Dortmunder Fall war zunächst der Eindruck erweckt worden, der Flüchtling habe die Beamten attackiert, so dass in Notwehr habe geschossen werden müssen. „Die Anklage ist eine logische Konsequenz aus den Fakten, die über Mouhameds Tod bekannt sind. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass dies auch eine Errungenschaft des zivilgesellschaftlichen Drucks ist, den wir in den letzten Monaten aufbauen konnten", erklärte Sarah Claßmann, Sprecherin des Solidaritätskreises „Mouhamed“.
Sollen Bodycams künftig automatisch angeschaltet werden?
Möglicherweise führt die Dortmunder Anklage auch zu einem neuen Umgang mit Bodycams. Kein einziger der eingesetzten Beamten hatte seine Uniform-Kamera eingeschaltet, um den Einsatz zu dokumentieren. Er wolle dafür sorgen, „dass die Kameras getragen werden und möglichst auch eingeschaltet sind“, hat Innenminister Herbert Reul (CDU) bereits vor Monaten angekündigt. Er strebe an, dass bei einem Einsatz eines Tasers die Geräte „gewissermaßen automatisch anspringen“.
Bei der GdP dürfte sich der Minister damit keine Freunde machen. Eine generelle Anschaltpflicht sei „auch ein genereller Grundrechtseingriff für die Bürger, was nicht gewollt sein kann“, so GdP-Landeschef Mertens am Mittwoch. Das Tragen und einsatztaktisch richtige Einschalten der Bodycams solle zwingend im Rahmen der Ausbildung und Fortbildung trainiert werden. Bisher gebe es lediglich eine Einweisung.