Düsseldorf. Der NRW-Landtag setzte nach dem Anschlag auf die Alte Synagoge in Essen ein wichtiges Zeichen gegen den Antisemitismus.
Es war einer jener Momente, in denen sich ein Parlament bewähren kann, bewähren muss: In einer Aktuellen Stunde verurteilten am Mittwoch der Landtag und die Landesregierung den Anschlag auf das Rabbinerhaus an der Alten Synagoge in Essen. In der Nacht zum vergangenen Freitag hatte ein Unbekannter mindestens vier Schüsse auf die Tür des Hauses abgegeben, das ein Institut für deutsch-jüdische Geschichte beherbergt. „Beschämend“ sei dieser Angriff, hieß es Parteien übergreifend. Diese Tat richte sich gegen die Demokratie an sich.
Mehr antisemitische Straftaten
Dass ein Angriff auf eine jüdische Einrichtung mitten in NRW Entsetzen hervorruft, ist selbstverständlich, aber in den Schulterschluss der Landespolitik mischt sich die bittere Erkenntnis, dass der Kampf gegen den Antisemitismus wohl noch viel engagierter als bisher geführt werden muss. Denn die Zahl der Straftaten gegen Jüdinnen und Juden steigt deutlich. Ganz zu schweigen von all den Beleidigungen und Bedrohungen auf Schulhöfen, in Büros und auf Straßen, die zwar nie in einer Statistik auftauchen, aber verheerende Wirkung entfalten.
Im Wissen um diese Besorgnis erregende Entwicklung sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), dass man sich diese Synagoge in Essen als Nachbarschaft vorstellen könne. „Stellen sie sich vor, sie stehen am Morgen auf und sehen Blaulicht vor dem Haus ihres Nachbarn. Das wühlt uns auf. In dieser Situation können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Diese Schüsse hallten durch ganz NRW, die Menschen in NRW nähmen sie sehr persönlich, die Kugeln hätten nicht nur ein Nachbarhaus getroffen, sondern „das Haus, in dem wir leben“. Daher rufe man dem Täter oder den Tätern zu: „Jüdisches Leben, Jüdinnen und Juden gehören in unsere Mitte. Wir stehen an ihrer Seite, und wir lassen uns nicht einschüchtern“, so Wüst.
Steinwürfe und brennende Fahnen
Doch die Schüsse auf das Rabbinerhaus und möglicherweise auch auf das Metalldach der Neuen Synagoge in Essen sind Teil einer langen Reihe von Anschlägen und Aktionen gegen jüdisches Leben in NRW. CDU-Landtagsfraktionschef Thorsten Schick erinnerte an Steinwürfe gegen die Fenster der Neuen Synagoge in Essen vor zwei Jahren, an Steinwürfe gegen die Bonner Synagoge 2021, an brennende Israel-Flaggen vor der Synagoge in Münster und an antisemitischen Hass bei einer Demo im Mai 2021 vor der Synagoge in Gelsenkirchen. Grünen-Landtagsfraktionschefin Verena Schäffer und andere Redner erinnerten daran, dass vor drei Jahren in Halle eine stabile Tür verhinderte, dass ein Rechtsextremer am höchsten jüdischen Feiertag die dortige voll besetzte Synagoge stürmen konnte. Vor Kurzem erst geriet die Documenta in Kassel wegen judenfeindlicher „Kunst“ in die Kritik.
Das Land NRW unternimmt viel. Aber reicht das?
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten in NRW auf den Rekordstand von 437. Insgesamt 146 waren es in der ersten Jahreshälfte 2022. „Antisemitismus ist alltäglich“, warnte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), seit 2018 Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, im Oktober bei der Ankündigung der ersten Dunkelfeldstudie zum Antisemitismus in NRW. Das Land unternimmt viel. Es gibt eine Meldestelle, die Antisemitismus unterhalb der Strafbarkeitsgrenze dokumentiert. Die Staatsanwaltschaften haben Antisemitismus-Beauftragte. Aber reicht das?
„Laut einer Allensbach-Umfrage meinen 23 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, dass Jüdinnen und Juden zu viel Macht in Wirtschaft und Finanzwesen haben. Das sind erschreckende Zahlen“, sagte FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty, ein Essener, freute sich darüber, dass es beim Thema Antisemitismus zum Glück keine Parteigrenzen gebe: „Heute sehen wir kein Rot, Schwarz, Gelb oder Grün.“
Jüdisches Leben "ein Geschenk für NRW"
Unter den Augen des Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Essen, Schalwa Chemsuraschwili, und der Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gelang es dem Landtag am Mittwoch, das von ihm erwartete Zeichen zu setzen. Landtagspräsident André Kuper (CDU) versicherte Chemsuraschwili die Solidarität des Parlamentes.
Ministerpräsident Wüst unterstrich die Bedeutung jüdischen Lebens für die ganze Gesellschaft: „Es ist ein Geschenk für uns, dass uns nach dem Holocaust jüdische Gemeinden nicht den Rücken gekehrt und dass sie auf ein demokratisches Deutschland vertraut haben.“ Dieses Vertrauen dürfe nicht enttäuscht werden.