Düsseldorf. Ein Gericht hat die bisherige Praxis bei den Abwassergebühren gekippt. Der Steuerzahlerbund vermutet, NRW wolle das Urteil aushebeln.
Die schwarz-grüne Landesregierung möchte die Abwassergebühren mit einem neuen Gesetz rechtssicher machen, weil ein Gericht die bisherige Praxis gekippt hat. Kritiker wittern dahinter einen „Taschenspielertrick“ des Landes, der Städte bevorteilen und die Bürger benachteiligen würde.
Warum ein neues Abwasser-Gesetz?
Weil das Oberverwaltungsgericht in Münster die bisherige Rechtsprechung gekippt hat. In einem Musterverfahren gegen die Stadt Oer-Erkenschwick stellten die Richter klar, dass diese Stadt in einem Fall um rund 18 Prozent zu hohe Abwassergebühren berechnet hatte. Der Kläger zahlte 599 Euro und damit 120 Euro zu viel.
Bei der Berechnung der Gebühren - und damit den anfallenden Kosten für den Betrieb der Abwasserkanäle – sei mit einem zu hohen, über den viel zu langen Zeitraum von 50 Jahren berechneten Zinssatz von 6,25 Prozent gearbeitet worden. Gleichzeitig wurde den Bürgern eine Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) in Rechnung gestellt. Aus der Sicht des Gerichts eine unzulässige Kombination zu Lasten der Bürger.
NRW will den Zeitraum der Zinsberechnung nun von 50 auf 30 Jahre verkürzen. Das Gericht empfahl sogar zehn Jahre.
Was spricht gegen den Gesetzentwurf?
Dahinter stecke vor allem der Wunsch, „das Rad zurückzudrehen“ und die Kritik der Richter, die Gebühren seien unzulässig hoch, auszuhebeln, sagt ein Bündnis aus dem Bund der Steuerzahler NRW, Haus und Grund NRW und dem Verband Wohneigentum NRW vor einer Expertenanhörung im Landtag am kommenden Freitag. „Da wird versucht, den vorherigen Zustand zu legitimieren“, meint Peter Preuß, Chef des Verbandes Wohneigentum NRW.
Die Praxis bei den Abwassergebühren diene vielerorts dazu, mehr Einnahmen zu erzielen, als zum Betrieb der Abwasseranlagen nötig wäre. Ein Teil des Geldes fließe in den allgemeinen Haushalt. „Das ist eine Stellvertreter-Einnahme“, warnt Rik Steinheuer vom NRW-Steuerzahlerbund.
Tim Treude von Haus und Grund NRW befürchtet sogar, die Reform der Abwassergebühren sei ein „Einfallstor“ für eine künftige Zweckentfremdung weiterer kommunaler Gebühren, zum Beispiel für Straßenreinigung und Müll.
Was sagt die Landesregierung?
Sie meint, auf den aktuellen Schwebezustand reagieren und möglichst noch in diesem Jahr ein Gesetz verabschieden zu müssen, das „Rechtssicherheit“ schafft. Das bisherige Gesetz sei zu „schlank“ und damit anfällig für Klagen. Die Räte sollen nun Klarheit bekommen, welche Kosten sie bei der Gebührenrechnung ohne Risiko berücksichtigen dürfen.
Wird die Abwassergebühr teurer?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Es wird weiter von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein, und in der Summe werde mit dem Gesetz einfach nur das heutige Gebührenaufkommen gesichert, so die Landesregierung. Arme Städte könnten versucht sein, mehr an der Gebührenschraube zu drehen als reiche. Und es kann gut sein, dass eine Stadt, die ein neues Kanalnetz hat, weniger Gebühren verlangt als eine mit einem alten Kanalnetz, in das viel investiert werden muss.
Das Bündnis der Kritiker wirft dem Land aber vor, dass es eben nicht darum gehen dürfe, das heutige Gebührenaufkommen abzusichern. Denn das Gericht kam ja zu dem Ergebnis, dass in Oer-Erkenschwick zu viel kassiert wurde.
Wie teuer ist Abwasser?
Die Unterschiede sind riesig. Im Schnitt werden im Jahr in NRW laut dem Bund der Steuerzahler 742 Euro für einen Musterhaushalt (Einfamilienhaus mit vier Bewohnern, 200 Kubikmeter Frischwasser-Verbrauch) fällig. Aber das ist eben nur ein Mittelwert. In Reken seien es 287, in Monschau 1356 Euro. Im Ruhrgebiet sind die Gebühren relativ niedrig: Bochum verlangt für diesen Musterhaushalt 643, Duisburg 680, Dortmund 646 und Essen 873 Euro.
Wie relevant ist das Thema Abwasser?
Sehr. „In Deutschland gibt es rund 600.000 Kilometer örtliche Straßen. Die spiegeln sich praktisch im Untergrund mit einem Kanalnetz von fast 600 .000 Kilometern Länge“, erklärte NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). In der Regel gilt: Je größer die Stadt, desto älter das Kanalnetz. Im Schnitt sind es 56 Jahre. Würde man das deutsche Kanalnetz heute wieder errichten müssen, kostete das zwischen 500 und 700 Milliarden Euro, rechnet Scharrenbach vor. Der Erhalt des Systems verschlinge im Jahr zwischen sechs und acht Milliarden Euro. Runtergebrochen auf NRW heißt das: etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich.
Es geht aber nicht nur um den Erhalt von Kanälen, Kläranlagen und Wasserbecken. Die Hochwasserkatastrophe habe allen vor Augen geführt, dass die Städte „wasserresiliente Zukunftsstädte“ werden müssten, so die Ministerin. Das kostet viel Geld. Die Abwassergebühren dürften also künftig tendenziell eher steigen.