Düsseldorf. In NRW hat die FDP bei den Bürgerinnen und Bürgern an Zuspruch verloren. Fraktionsvize Witzel und Juli-Chef Steffen über Wege aus dem Tief.

Die FDP hat ein Image-Problem. Besonders in Nordrhein-Westfalen hat der kleinste Partner der Berliner Ampel-Koalition massiv an Zuspruch verloren. Bei der Landtagswahl im Mai stürzte die Partei von 12,6 Prozent (2017) auf 5,9 Prozent. In Niedersachsen flogen die Freien Demokraten in diesem Jahr gar aus dem Landtag.

Laura Lindemann sprach mit Ralf Witzel (50), FDP-Vize-Fraktionschef in NRW und Vorsitzender der Ruhr-FDP und Alexander Steffen (29), NRW-Vorsitzender der Jungen Liberalen (Julis), über Vorurteile, den Zuspruch von jungen Menschen und Pläne fürs Revier.

Die FDP ist 2022 bei fast allen Landtagswahlen zurückgefallen, besonders in NRW. Wie erklären Sie sich die schlechten Ergebnisse?

Ralf Witzel: Zum großen Teil liegt das an den Kompromissen, die die Partei auf Bundesebene machen muss. Zum Beispiel damals beim Infektionsschutzgesetz. In diesen unsicheren Zeiten hatten FDP-Führungskräfte das Ziel, das Land ruhig und solide mitzuregieren. Im Nachhinein wissen wir, dass davon nur der stärkere Partner profitiert. Denn in der breiten Masse wusste der Wähler nicht, was uns als kleineren Partner unterscheidet. Das hätten wir klarer kommunizieren müssen.

Alexander Steffen: Mir ist es zu ambitionslos, die Schuld nur auf die Ampel zu schieben. Im Bundestrend stehen wir Umfragen zufolge nämlich besser da als in den einzelnen Ländern. Bei letzten Wahlen lag es an blassen Spitzenkandidaten, die nur wenige Bürger kannten und die unsere Partei nicht mitgerissen haben. Andererseits waren die Kampagnen zu schwach, weil sie keine Innovation und Neugierde nach außen transportiert haben. Früher war die FDP dafür bekannt, gegen den Trend zu schwimmen. Diese Eigenschaft vermisse ich.

Von der Bürgerrechtspartei hin zu Klientelpolitik. Woher kommt das Bild, das viele von der FDP haben?

Witzel: Klientelpolitik sehe ich bei uns nicht. Uns interessieren bestmögliche Aufstiegschancen für jeden, der etwas leistet. Das Ruhrgebiet war noch nie eine einfache Region für uns. Die Wahlergebnisse hier haben den Landesschnitt immer runtergezogen. 2017 hatten wir aber eine überproportionale Entwicklung nach vorne. Die vergangene Landtagswahl hat die Lücke weiter geschlossen.

Steffen: Die FDP sollte das Vorurteil nicht klein reden, sondern in die Gegenoffensive gehen. Natürlich haben wir ein Image-Problem, viele zeichnen von uns das Bild einer Porsche-Partei. Der Vorwurf geht einher mit unserem Programm. Mein Lieblingsbeispiel ist soziale Gerechtigkeit. SPD, Grüne und Linke gelten als Parteien der sozialen Gerechtigkeit. Ihnen geht es aber darum, soziale Gleichheit herzustellen, das beinhaltet auch Vermögensgleichheit. Aber wenn sich jemand anstrengt und lange lernt, ist es doch sozial gerecht, wenn er dann besser verdient. Es wird erst ungerecht, wenn die Person nicht die Möglichkeit hat, sozial aufzusteigen.

Bei den jungen Menschen sieht das anders aus. 23 Prozent Jung- und Erstwähler stimmten bei der Bundestagswahl für die FDP. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Steffen: In meinem Umfeld und bei Diskussionen in Schulen merke ich, dass viele junge Menschen im Land, große Lust haben, ins Ausland zu gehen, sich selbstständig zu machen oder in Studium und Ausbildung voranzukommen. Vor der Landtagswahl war meine dringende Bitte an FDP-Funktionäre, das Schulfach Wirtschaft in die Kampagne einzuarbeiten. Denn es ist bezeichnend für die junge Generation, die Schule zu verlassen und nicht zu wissen, wie ein Mietvertrag aussieht oder was Aktien sind.

Witzel: Für junge Menschen sind FDP-Themen wie die Sicherung des Lebensstandards, gerechte Rente und die Schuldenbremse attraktiv. Hinzu kommt unser freiheitlicher Kurs: Gerade in der Corona-Zeit saßen viele junge Menschen zu Hause und haben unter der Ausgangssperre gelitten.

Dieser Kurs hat Umfragen zufolge viele Ältere wiederum erschrocken…

Witzel: Freiheit darf man nicht mit Unvernunft gleichsetzen. Wir haben nie fahrlässige Politik gemacht. Aber wenn es Grundrechtseinschränkungen gegeben hat, musste es auch belegbare Fakten geben, die die Maßnahmen legitimierten.

Steffen: Die FDP musste sich in der Corona-Zeit manchen Sicherheitsfantasien der CDU unterordnen. Sogar die Forderung nach einer Impfpflicht wurde zeitweise von uns mitgetragen. Rückblickend wäre eine konsistentere Linie besser gewesen – weniger Einschränkung und mehr Eigenverantwortung. Auch wenn es Wähler abschreckt, ist es wichtig, dass die Leute wissen, was sie bekommen, wenn sie uns wählen.

Ihre Koalitionspartner SPD und Grüne regieren im Bundesvorstand mit einer Doppelspitze. Auch eine Option für die FDP?

Witzel: Da bin ich klar dagegen. Auf Landes- und Bundesebene haben wir beispielsweise Generalsekretärs-Positionen, damit sind wir plural aufgestellt. Am Ende braucht es aber einen Kopf, der in der Partei an erster Stelle steht und Verantwortung übernimmt.

Steffen: Mir ist wichtig, dass eine Partei keine One-Man-Show ist. Die Verantwortung darf nicht nur bei einer Person liegen. Bei den Julis gibt es drei Lager: Eins möchte unbedingt eine Doppelspitze, ein anderes ist dagegen. Meinem Lager ist es vor allem wichtig, dass der Parteivorsitzende nicht gleich der Fraktionsvorsitzende ist. Am Ende sollte der Einzelfall bei der Diskussion um eine Doppelspitze betrachtet werden.

Warum sind Sie damals in die FDP eingetreten?

Steffen: Ich war etwa 15 Jahre alt und habe eine Wahlkampfrede von Guido Westerwelle gehört, in der er über Individualismus und das Konzept Privat-vor-Staat sprach. Diese Überzeugungen haben mich begeistert. Zum Ende meines Politik-Bachelor-Studiums 2015 war die FDP nicht im Bundestag und in Umfragen nicht messbar. Da dachte ich, jetzt ist die richtige Zeit, um einzutreten.

Witzel: Bei mir ist der lebendige Politikunterricht meiner Schule verantwortlich. Ich habe schon immer leidenschaftlich gerne diskutiert.

Was möchten Sie als Partei im Ruhrgebiet besser machen?

Witzel: Das Aufstiegsversprechen erneuern, überprüfen, ob es Hürden gibt und ob die Anreize richtig gesetzt sind. Bildungschancen unabhängiger von sozialer Herkunft machen. Und die Industriestandorte und damit die vielen Arbeitsplätze im Ruhrgebiet erhalten, indem wir wettbewerbsfähig bleiben, zum Beispiel durch Mobilität, Digitalisierung, Modernisierung.

Steffen: Das Ruhrgebiet muss Gründerstandort werden, damit die Start-ups nicht nach Berlin abwandern. Außerdem den ÖPNV weiter ausbauen, so dass man schneller in die Vorstädte kommt oder die Möglichkeit hat, schnell mit dem Auto an Bahngleise zu gelangen. Zudem Schulen modernisieren. Viele müssten neu gebaut werden, anstatt nur sanieren.

Info:

Wenn gestern (Sonntag, 13.11.) Bundestagswahl gewesen wäre, müsste die FDP neuen Umfragen zufolge um den Einzug ins Parlament bangen. Beim ZDF-„Politbarometer“ und bei der YouGov-Sonntagsfrage kam die Partei nur auf fünf Prozent. Bei sieben Prozent sah der ARD-„Deutschlandtrend“ die Liberalen.