Essen. Sie wollen Veränderung und Aufbruch: Bei den Erstwählern schnitten Grüne und Liberale am besten ab. Woran liegt das?

Digitalisierung, Bildung, Klimawandel – das sind die großen Themen bei den Erstwählern. Die Jungen wollen den Bruch mit der Politik der Großen Koalition, wünschen sich Wandel und Veränderung. SPD und vor allem die Union stehen für viele Jungwähler für die Vergangenheit. „Aber wir sind die Zukunft“, sagt der 19-jährige Oberstufenschüler Baboucarr Jobe.

Digitalisierung und Klimawandel als Kernthemen

Dieses Aufbruchs-Versprechen finden sie offenbar bei FDP und Grünen. Bei der Bundestagswahl machten jeweils 23 Prozent der Erstwähler ihr Kreuz bei einer der beiden Parteien.  Die SPD kam laut Infratest dimap auf 15, die Union auf 10 Prozent. Die Beliebtheit der Liberalen bei der Jugend ist aber nur auf den ersten Blick überraschend.

Wahlkampf im Netz

„Grüne und FDP stehen für Aufbruch und Veränderung. Das zieht junge Menschen an, die nur SPD und CDU in der Regierung kennen“, sagt Erstwählerin Johanna Börgermann von der Landesschülervertretung NRW. „Die Digitalisierung ist ein Kernthema der Jugend. Wir haben in der Pandemie gesehen, wie wichtig das ist“, sagt Börgermann, die selbst ihr Kreuz bei der SPD machte.

Grünen-Ergebnis überrascht weniger

Das gute Grünen-Ergebnis überrascht wenig. Anders sieht es bei der FDP aus. „Eine wissenschaftlich fundierte Erklärung dafür habe ich bisher nicht“, räumt Achim Goerres ein, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. Doch die FDP habe einen sehr guten Wahlkampf im Netz gemacht und über soziale Medien mehr Leute angesprochen als andere Parteien. „Außerdem hat die FDP es geschafft, als kompetente Digitalisierungspartei wahrgenommen zu werden. Auch das dürfte junge Menschen angesprochen haben“, so Goerres.

„Es ist Zeit für einen Machtwechsel“

Das passt zu den Aussagen der Erstwähler. „Ich habe geschwankt zwischen den Grünen und der FDP. Bei den Grünen steht der Klimawandel stark im Fokus, bei der FDP die Digitalisierung“, sagt David Yeboah-Dangquah (18). „Beide Parteien stehen eher für den Wandel und eine Politik für die Jugend. Eigentlich hätte ich auch die FDP wählen können, aber ich habe mich am Ende für die Grünen entschieden.“ CDU und SPD hätten die junge Leute mit ihren Wahlprogrammen nicht abgeholt. „Es ist Zeit für einen Machtwechsel“, sagt er.

Junge Menschen wollten den Wechsel wählen, interpretiert der Politikforscher Martin Florack von der NRW School of Governance das Wahlergebnis. „Hier schienen FDP und Grüne das passende Angebot für Veränderung und Aufbruch zu haben.“ Julia Chrostowski bestätigt das: „Die FDP steht für Digitalisierung und den Kampf gegen den Klimawandel, das hat viele angesprochen. Die CDU hat den Klimawandel und die Digitalisierung überhaupt nicht auf dem Schirm“, sagt die 19-Jährige.

Forscher: „Das Bild, dass die Jugend politisch links steht, ist falsch.“

Dass Erstwähler eher links wählen, ist nach Ansicht von Politikwissenschaftler Goerres aber ein Mythos. „Das Bild, dass die Jugend politisch links steht, ist falsch.“ Fridays for Future sei nicht repräsentativ für eine ganze Alterskohorte, sagt auch Florack. „Links zu sein, ist keine Altersfrage“, betont Goerres. Allerdings warnt er davor, in dem guten Ergebnis der FDP bei den Erstwählern einen Trend zu erkennen. „Der Effekt könnte für die FDP schnell wieder verpuffen. Die Grünen hingegen profitieren langfristig von dem Wertewandel.“

Doch zur Zeit haben die Liberalen bei der Jugend einen Lauf. „Viele Jugendliche sind für die FDP, sie sprechen die Jugend mehr an. In unsere Schule tropft Wasser durch die Decke. Wir brauchen bessere Schulen und mehr Geld für die Bildung“, erklärt Kerstin Balasundaram (18) die Stimmungslage an der jugendlichen Basis.

Politikwissenschaftler sehen CDU und SPD vor großen strukturellen Problemen

Baboucarr Jobe (19) meint: „Ich bin auch eher für die FDP. Die Digitalisierung ist megawichtig für die Zukunft. Unsere Schule braucht eine bessere Technik für den digitalen Unterricht. Die FDP will das vorantreiben.“ Sie habe zudem ihr Wahlprogramm im Netz verständlich rübergebracht. „Ich fühle mich von den Politikern übersehen. Sie machen Politik für die Erwachsenen. Dabei sollten sie sich mehr um uns kümmern, denn wir sind die Zukunft. Dass jetzt viele junge Leute FDP und Grüne gewählt haben, hat die anderen Parteien erschreckt. Das finde ich gut“, meint Jobe.

Gharaani Pirabakaran (18) erzählt: „Ich habe zwischen Grünen und FDP geschwankt aber dann Grün gewählt. Corona hat gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung für uns und für die nächste Generation ist. Das trifft auch für den Klimawandel zu. Wenn wir jetzt nichts machen, wann dann? Bei der FDP habe ich den Eindruck, dass sie eher die reichen Leute unterstützt. Und die CDU ist für mich ganz raus.“

„Ich bin ein begeisterter Autofahrer und trotzdem für die Grünen."

Achim Goerres sieht SPD und CDU vor großen strukturellen Problemen: „Die SPD profitiert derzeit noch von der stark durch Willy Brandt geprägten Generation. Der Union dagegen sterben Teile ihrer Wählerschaft inzwischen weg.“ Ihr gelinge es nicht, nachwachsende Generationen langfristig zu begeistern. „Wäre ich Wahlkampfmanager bei der CDU, würde ich mir große Sorgen machen.“

Auch Dustin Dorn (18) kam es nicht in den Sinn, hinter der CDU ein Kreuz zu machen. „Ich bin ein begeisterter Autofahrer. Trotzdem bin ich für die Grünen und würde auch ein Tempolimit akzeptieren.“ Und er spricht für seine Mitschüler, als er sagt: „Wir sind interessiert, wir werden mehr und wir wollen mitreden. Die Politik sollte mehr auf die Jugend hören!“