Düsseldorf. Die inzwischen zurückgezogene Aussage von CDU-Chef Merz in Bezug auf ukrainische Kriegsflüchtlinge geht offenbar an der Realität vorbei.
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hat Kritik von CDU-Chef Friedrich Merz an einem angeblichen „Sozialtourismus“ von Menschen aus der Ukraine nach Deutschland scharf zurückgewiesen. „Auch wenn Herr Merz sich mittlerweile für seine Wortwahl entschuldigt hat, so bleibt doch ein bitterer Nachgeschmack angesichts der Lage in der Ukraine und der Ängste, die auch Menschen, die hier Schutz gefunden haben, um Angehörige, Freunde und ihre Heimat haben“, sagte Paul unserer Redaktion am Dienstag.
Merz hatte bundesweit Empörung hervorgerufen, als er am Montagabend bei „Bild TV“ behauptet hatte: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Der CDU-Politiker hatte einen Zusammenhang hergestellt zum rechtlichen Status von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in Deutschland. Seit Juni erhalten sie nicht mehr die vergleichsweise niedrige Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern sind praktisch Hartz IV-Bewerbern gleichgestellt.
Merz ruderte nach bundesweiter Kritik zurück
Nach Populismusvorwürfen aus anderen Parteien und sogar einer raschen Distanzierung innerhalb der Union machte Merz am Dienstag einen Rückzieher: „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung“, schrieb er bei Twitter.
In NRW wurde derweil bestritten, dass es überhaupt das von Merz genannte Problem eines missbräuchlichen Bezugs von Sozialleistungen durch Ukrainer gibt. Man habe „keine Hinweise auf das beschriebene Phänomen“, erklärte das Flüchtlingsministerium in Düsseldorf auf Anfrage.
„Wir können die Aussage von Herrn Merz zu einem Sozialtourismus von ukrainischen Flüchtlingen nicht nachvollziehen“, hieß es auch aus dem Essener Rathaus, das vom Vorsitzenden des NRW-Städtetages, Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), geführt wird. Anders als Asylbewerber, die nicht ohne weiteres ins Herkunftsland zurückreisen dürfen, können Ukrainer ebenso wie alle anderen „Kunden“ der Jobcenter auch Ortsabwesenheiten von bis zu drei Kalenderwochen im Jahr in Anspruch nehmen.
Drei Wochen in der Heimat sind genehmigt
Menschen aus der Ukraine nutzten diese Möglichkeit der zeitweiligen Rückreise etwa dazu, damit Kinder ihren Vater sehen können, der zuhause im Krieg bleiben musste, erklärte eine Sprecherin der Stadt Essen. Manchmal würden auch noch wichtige Unterlagen wie Zeugnisse für das Anerkennungsverfahren in Deutschland besorgt. Zuweilen gehe es bei den Heimatbesuchen auch nur darum, sich ein Bild von der Lage zu machen, um abzuschätzen zu können, ob eine dauerhafte Rückkehr in die Ukraine möglich erscheint. „Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Gründe für Ortsabwesenheiten aus unserer Sicht im Fluchtkontext liegen und nicht im Bereich der widerrechtlichen Inanspruchnahme von Sozialleitungen“, stellt die Stadt Essen klar.