Düsseldorf. Die neue NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) hat viele Baustellen. Ihr Auftrag: Sichere und personell gut ausgestattete Kitas.

„Gleiche Chancen auf gute Bildung“ sollen alle Kinder und Jugendlichen in NRW haben, sagte Josefine Paul (Grüne) am Donnerstag bei ihrem ersten Auftritt im Familienausschuss des Landtags als Ministerin. Aber der Weg zu diesem von CDU und Grünen im Koalitionsvertrag gesteckten Ziel ist weit, und auf die neue Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung und Integration warten in den kommenden Monaten gleich mehrere Großbaustellen.

Was passiert mit den „Sprach-Kitas“?

„Wir müssen die Sprach-Kitas retten“, warnt Josefine Paul. Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie sich Ende 2022 von der der Förderung dieses Programms verabschieden möchte. In NRW ist etwa jede achte der rund 10.000 Kindertageseinrichtungen eine Sprach-Kita. Dort werden Mädchen und Jungen mit besonderem Sprach-Förderbedarf durch rund 1500 Fachleute individuell unterstützt.

Die Familienministerinnen und -minister der Länder seien vom Vorstoß des Bundes „überrascht“ worden, heißt es. NRW erhält in diesem Jahr aus Berlin noch 47,6 Millionen Euro im Jahr für dieses Angebot. Die Landesregierung verhandelt nun mit dem Bund über „eine gewisse Verlängerung“ des Sprach-Kita-Programms. Für NRW allein sei die Weiterführung derzeit „kaum stemmbar“, so Paul. Die Länder benötigten hier mehr Zeit.

Tatsächlich wird die Zeit für die Rettung knapp. „Wenn im September kein Signal an die Kita-Träger geht, dass das Programm im nächsten Jahr fortgesetzt wird, dann werden am 1. Oktober die ersten Kündigungen ausgesprochen werden“, sagte SPD-Familienexperte Dennis Maelzer. Der familienpolitische Sprecher der FDP, Marcel Hafke, ergänzte, es dürfe nicht sein, dass ausgerechnet in einer Zeit des Fachkräftemangels in der Erziehung womöglich hunderten Fachkräften gekündigt würde.

Was wird aus dem „Alltagshelfer-Programm“?

In der Pandemie hat es NRW möglich gemacht, dass vielerorts Kita-Helferinnen und -helfer das pädagogische Personal in den Kitas unterstützen, zum Beispiel beim Einkauf, bei Ausflügen mit den Kindern und bei Hygiene-Maßnahmen. Mehrere tausend Helfer haben inzwischen die Kitas verstärkt, das Alltagshelfer-Programm wurde verlängert, endet aber am 31. Dezember 2022. „Wir wollen dieses Programm verstetigen, daran arbeiten wir“, sagte Ministerin Paul. In trockenen Tüchern ist das aber noch nicht.

Die Alltagshelfer sind eine erste wichtige Säule der „Fachkräfte-Offensive“ für die frühkindliche Bildung, die NRW gerade vorbereitet. Man möchte möglichst viele junge Menschen für die Arbeit mit kleinen Kindern begeistern. Aber das funktioniere nicht von heute auf morgen. Es handele sich um einen „Marathonlauf“, so Paul.

Sind die Kitas auf den Pandemie-Herbst vorbereitet?

Als Landtagsabgeordnete zählte Josefine Paul beim Thema Kita-Betrieb in der Pandemie zu den schärfsten Kritikern des früheren NRW-Familienministers Joachim Stamp (FDP). Nun scheine sie Gefallen daran zu finden, Stamps Arbeit einfach fortzuführen, wundert sich Dennis Maelzer (SPD). „Der Kita-Regelbetrieb in Präsenz hat absolute Priorität“, stellt Paul klar. Zum Glück sei die Zahl der pandemiebedingten (Teil-) Schließungen von Kitas derzeit überschaubar.

Laut Landesregierung waren im August in NRW an jedem Werktag durchschnittlich etwa neun Kitas teilweise und etwa zwei pandemiebedingt komplett geschlossen. Das entspreche 0,1 Prozent der Kitas. Im August seien etwa 3000 Corona-Infektionen bei Kita-Kindern und rund 2800 beim Kita-Personal gemeldet worden. Die Eltern der betreuten Kinder erhalten in NRW in den Kitas acht Corona-Selbsttests pro Monat, die sie so nutzen können, wie sie es möchten. Die Kita-Träger sollen ihren Beschäftigten Corona-Tests anbieten. Eine Maskenpflicht steht nicht zur Diskussion. Dafür gebe es im Moment keine rechtliche Grundlage, erklärte Paul.

Wann kommt die volle Beitragsfreiheit?

Wann die von der schwarz-grünen Koalition versprochene Beitragsfreiheit auch des dritten Kita-Jahres vor der Einschulung kommt, ist weiter unklar. Auch die Frage, wann Eltern bei den Verpflegungskosten für die Kita-Kinder unterstützt werden, bleibt unbeantwortet. In einer Zeit explodierender Energie- und Lebensmittelpreise warteten viele Familien sehnlichst auf dieses Signal, so die Opposition. Es werde „geprüft“, heißt es vage von der Regierung.

Was steht noch auf der Liste?

CDU und Grüne haben sich im Ressort Familie, Kinder und Jugend viel vorgenommen für die kommenden Jahre. Das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) soll reformiert, das Kinderschutzgesetz weiterentwickelt, ein „Pakt gegen Kinderarmut“ geschmiedet und der Rechtsanspruch im Ganztag für Grundschüler solide vorbereitet werden. Wann das alles kommt und ob es in diesen Krisenzeiten überhaupt reibungslos funktionieren kann, ist ungewiss. Die Großbaustellen dürften der Ministerin noch einiges abverlangen.