Bochum. Die Stärke der Hochschulen liegt in der Vielfalt der Studierenden, sagt der neue Rektor der Ruhr-Uni Bochum, Martin Paul.
Das Ruhrgebiet habe ihn positiv überrascht, sagt der neue Rektor der Ruhr-Uni Bochum. Der Mediziner Martin Paul (64), seit November 2021 im Amt, ist der erste Rektor der Bochumer Uni, der nicht aus der Region stammt. Im Gespräch mit Matthias Korfmann und Christopher Onkelbach erklärte er, wo er die Stärken der Region sieht, wie er zur militärischen Forschung steht und warum der Elitebegriff so gar nicht zum Ruhrgebiet passt.
Wie haben Sie sich entschieden - VfL Bochum, BVB oder Schalke?
Martin Paul: Natürlich für den VfL Bochum! Ich bin auch schon Mitglied. Aber ich bin nicht nur Fan des VfL, sondern auch vom Schauspielhaus. Maastricht ist eine schöne Stadt, aber diese Region hier bietet viel mehr.
Wie nehmen Sie als „Zugewanderter“ das Ruhrgebiet wahr?
Martin Paul: Dass es hier grün ist, wusste ich bereits. Dennoch gab es gab für mich hier viele positive Überraschungen. Das Ruhrgebiet ist eine verkannte Region. Ich komme auch aus einer Kohleregion, der niederländischen Provinz Limburg. Solche Gebiete haben oft mit alten Bildern zu kämpfen. Diese Region hat aber viel mehr als man von außen wahrnimmt. Hochschulen, Kultur, neue Industrien und Unternehmen. Es gibt eine große Dynamik, das hatte ich nicht erwartet.
Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der Region?
Martin Paul: Wir müssen weg kommen von der kommunalen Kleinstaaterei. Die Universitäts-Allianz Ruhr (UA Ruhr) der drei Unis Dortmund, Bochum und Duisburg-Essen ist dafür ein Vorbild. Nur gemeinsam schaffen wir eine kritische Masse, die überregional schlagkräftig und sichtbar ist. Mit der UA Ruhr nehmen wir die gesamte Region in den Blick. Unsere Stärke liegt dabei vor allem in der Vielfalt unserer Studierenden. Das haben andere Standorte nicht. Das ist unser Potenzial, aus dem wir etwas für die Region machen können.
Wie sehen Sie die Chancen der Ruhr-Uni beim Exzellenzwettbewerb – kann das Ruhrgebiet Elite?
Martin Paul: Exzellenz ist ja kein Preisausschreiben. Das muss mit Inhalten gefüllt werden. Und wir sind bereits in vielen Bereichen exzellent, aber nicht elitär. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie – und hier gibt es viele davon. Elite, das passt nicht zu uns. Wir wollen nicht München oder Heidelberg imitieren, wir gehören in die Mitte der Gesellschaft.
Oft wird der angebliche Akademisierungswahn beklagt, kommt die berufliche Bildung zu kurz?
Martin Paul: Ich bin kein Freund von polarisierenden Positionen. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, die Menschen gut auszubilden, das muss nicht immer ein Studium sein. Denkbar ist es, dass wir mit allen Akteuren, also Schulen, Berufsschulen, Universitäten und Fachhochschulen eine gemeinsame Agenda schaffen für die Ausbildung junger Menschen in der Region. Ich bin ein großer Anhänger von Bildung in jeder Form. Wir brauchen so viele schlaue Leute wie möglich. Gerade in der heutigen Zeit.
Sie sind angetreten, um die Universität internationaler aufzustellen – sehen Sie dabei Fortschritte?
Martin Paul: Die Ruhr-Uni ist schon ziemlich international. Rund 17 Prozent unserer Studierenden haben einen ausländischen Pass. Das ist gut. Wir vernetzen uns mit Partnerhochschulen in der Region und zugleich weltweit. So sind wir seit kurzem als einzige deutsche Universität Mitglied im „Worldwide Universities Network“, einem globalen Zusammenschluss forschungsstarker Unis, die an grundlegenden Themen wie Klimawandel, Migration und Nachhaltigkeit arbeiten. Es gibt globale Probleme, die wir nur gemeinsam angehen können.
Eines davon ist der Ukraine-Krieg. Das politische Leitmotiv „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. Kann die Idee „Wandel durch Wissenschaft“ Bestand haben?
Martin Paul: Das ist eine schwierige Frage. Man muss unterscheiden zwischen Institutionen und Menschen. Es ist richtig, die Kontakte zu staatlichen russischen Einrichtungen abzubrechen. Aber wir bieten allen Menschen, die unter den Folgen des Krieges leiden, unsere Hilfe an. Ich weiß, dass viele russische Wissenschaftler nicht einverstanden sind mit ihrer Regierung. Es gibt viele, die das Land verlassen wollen.
Wie sollte sich die Wissenschaft gegenüber undemokratischen Staaten verhalten?
Martin Paul: Wir suchen Wege, wie wir mit autokratischen Staaten umgehen sollten. Das betrifft nicht nur Russland, sondern zum Beispiel auch China oder Iran. Alle Unis hadern damit. Wir müssen ein gemeinsames Wertesystem definieren, an dem wir uns ausrichten. Das bedeutet mehr, als nur ein chinesisches Konfuzius-Institut zu schließen.
Sollten die Hochschulen angesichts des Krieges mehr militärische Forschung betreiben?
Martin Paul: Da sollten wir zurückhaltend bleiben. Ich spüre jedenfalls keine Aufforderung, mehr an militärischer Forschung zu arbeiten. Universitäten sind jenseits der Tagespolitik ethischen Grundsätzen verpflichtet. Und die Politik verändert sich ja derzeit rasant.
Was erwarten Sie von der neuen Landesregierung?
Martin Paul: Dass sie die Hochschulen weiter fördert und ihnen die nötige Entwicklung ermöglicht. Bildungspolitik ist ein Kontinuum und lässt sich nicht an Legislaturperioden koppeln. Wir sind daher bereit, mit jeder Landesregierung zusammenzuarbeiten.
Zur Person:
Martin Paul (64) ist seit November 2021 Rektor der Ruhr-Uni Bochum. Der renommierte Mediziner war zuvor als erster Ausländer zehn Jahre lang Präsident der niederländischen Universität Maastricht. Zuvor war er von 1997 bis 2008 Institutsleiter für Klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Freien Universität Berlin, ab 2003 an der Charité. Paul ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.