Düsseldorf. Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) stellt den Bürgerinnen und Bürgern einen finanziellen Ausgleich für „Zumutungen“ in Aussicht.

Die Zeit zum Feiern war kurz nach der Regierungsbildung in dieser Woche. Am Donnerstag beschäftigte sich der Landtag nach Anträgen von SPD und AfD mit einem bitterernsten Thema, das in den kommenden Wochen weiter an Dramatik gewinnen dürfte: der drohende Ausfall von Gaslieferungen aus Russland. Die neue „Superministerin“ Mona Neubaur (Grüne), zuständig für Wirtschaft und Energie, war gleich in ihrer ersten Rede im Landesparlament gefordert.

Abhängigkeit von Russland "schonungslos offengelegt"

„Wir reden hier durchaus von einer Versechsfachung der Preise für Gas“, sagte Neubaur. NRW, das als dicht besiedeltes Industrieland besonders hart betroffen sei, stehe vor einer der größten Herausforderungen in jüngerer Zeit. „Die russische Invasion in die Ukraine hat unsere starke Energieabhängigkeit von Russland schonungslos offengelegt“, so die stellvertretende Ministerpräsidentin.

Nach der drastischen Verringerung der Gaslieferungen aus Russland hatte die Bundesregierung die so genannte „Alarmstufe“ im Notfallplan Gas ausgerufen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Es ist offen, ob Russland die Lieferungen vorübergehend stark drosselt, oder ob der Gashahn in den kommenden Wochen noch viel weiter zugedreht wird. Ein umfassender Lieferstopp mit dem Übergang von der Alam- zur Notfallstufe hätte zur Folge, dass Unternehmen von der Gasversorgung abgetrennt würden, um Privathaushalte und wichtige öffentliche Einrichtungen abzusichern.

Ein Alarmsignal: Weil Russland seine Gas-Lieferungen drosselt, ruft Deutschlands größter Gazprom-Kunde Uniper die Bundesregierung um Hilfe.

Gesetz hilft Unternehmen, schadet aber Verbrauchern

Mona Neubaur begrüßt im Grundsatz die Änderung des Bundes-Energiesicherungsgesetzes, die Energieunternehmen im Falle einer großen Gas-Krise ermächtigt, die Preise zu erhöhen. Auf diese Weise könnten die hohen Gas-Beschaffungspreise an die Kunden weitergegeben werden. „Wenn die Energieversorger anderenfalls aufgrund von Liquiditätsproblemen insolvent werden, wäre die Versorgung der Kunden sofort in Frage gestellt“, erklärte die Grünen-Politikerin. Das heißt: Gas müsse kurzfristig für die Verbraucher teurer werden können, um ein „Marktversagen“ bei der Energie zu verhindern.

Die Kehrseite der Medaille: Gas würde für viele Bürgerinnen und Bürger in NRW bald unbezahlbar. Das sei auch allen Beteiligten bewusst, versicherte Neubaur. Es müsse für einen finanziellen Ausgleich für diese Zumutungen gesorgt werden. Um den Gasverbrauch in NRW deutlich zu reduzieren, schlägt die Ministerin unter anderem vor, die Stromerzeugung mit Gas zu reduzieren, Flüssiggas-Terminals schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen und beim Heizen zu sparen, zunächst in den Verwaltungsgebäuden des Landes NRW. „Wir müssen jetzt handeln, damit die Gasspeicher für den Winter gut gefüllt werden können“, sagte sie.

SPD: Den Menschen "reinen Wein einschenken"

Wie sehr die drohende Gas-Knappheit nicht nur die Mieterinnen und Mieter sowie Hauseigentümer belastet, beschrieb die SPD in ihrem Antrag für die Aktuelle Stunde im Parlament: „440.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind bei energieintensiven Unternehmen in NRW beschäftigt, auf die wiederum 40 Prozent des Gasverbrauchs im Land zurückgeht.“ André Stinka (SPD) warnte vor einer weiteren Vertiefung der sozialen Spaltung in NRW durch explodierende Energiepreise. Die notwendigen Einsparungen würden alle Menschen treffen. Die Politik müsse der Bevölkerung „reinen Wein einschenken“.

Versäumnisse der Bundesregierungen

FDP und Grüne erinnerten an Versäumnisse mehrerer Bundesregierungen in der Energiepolitik. „Die Abhängigkeit von Russland ist auch ein Ergebnis von 16 Jahren Außen- und Energiepolitik von Angela Merkel“, sagte FDP-Fraktionschef Henning Höne. „Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre sind maßgeblich verantwortlich“, meinte auch Grünen-Fraktionsvize Wibke Brems. Die Energiepreise würden zwar weiter steigen, es dürfe aber keine Frage des Geldbeutels sein, „ob man es in der Wohnung warm hat oder nicht“, so Brems.

Kohle und Atom oder mehr Erneuerbare?

Während die Liberalen insbesondere die Grünen dazu aufriefen, „die parteipolitische Komfortzone zu verlassen“ und sich weiter zu öffnen für die Nutzung von Kohlekraftwerken und Kernenergie, warten die Grünen davor, angesichts der Krise von Fracking und Atomkraft zu träumen. Stattdessen müsse noch konsequenter auf erneuerbare Energien umgestellt werden“, findet Wibke Brems: „Wir brauchen mehr Erneuerbare, nicht nur aus Wind und Photovoltaik, sondern auch aus Biogas, Geothermie und Solarthermie.“

Die Landesregierung hatte Anfang Mai einen Aktionsplan „Krisenfestes Energiesystem für Nordrhein-Westfalen“ beschlossen, in enger Abstimmung mit der Energiewirtschaft, energieintensiven Unternehmen und mit Gewerkschaften. NRW arbeitet darüber hinaus mit im „Krisenteam Gas“ der Bundesregierung. Ein landeseigenes Krisenteam Gas treffe sich wöchentlich, um die Folgen der Krise abzumildern, erklärte Mona Neubaur.