Düsseldorf. Die Wiederwahl schärft das Profil des Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU). Das erste schwarz-grüne Bündnis im Land kann jetzt starten.

Bisher war Hendrik Wüst ein Ministerpräsident, der eine Ernte einfuhr, die Armin Laschet gesät hatte. Einer, der bis zur Landtagswahl am 15. Mai Gefahr lief, als Kurzzeit-Ministerpräsident zur Randnotiz in der Landesgeschichte zu werden. Nun blickt er auf einen souveränen Wahlsieg zurück und hat ein eigenes Profil. Seine Koalition verfügt im Gegensatz zu der seines Vorgängers Laschet über eine satte Mehrheit im Parlament. Wüst schreibt mit seiner Wahl ein eigenes historisches Kapitel, denn er ist der erste Unionspolitiker in NRW, der nicht nur von einem schwarz-grünen Bündnis geträumt, sondern tatsächlich eines geschmiedet hat.

Die Tatsache, dass ihm am Dienstag bei seiner Wiederwahl im Parlament offenbar vier Stimmen aus dem eigenen Lager fehlten, ist allerdings ein Fingerzeig, dass es nicht so leicht sein dürfte, dieses Bündnis aus ungleichen Partnern in den kommenden Jahren zu disziplinieren. Der Bezug zur Landesgeschichte ist dem 46 Jahre jungen Hendrik Wüst wichtig. Die Namen gleich dreier früherer Ministerpräsidenten baute er nach seiner Wahl in die fünfminütige Rede ein: Karl Arnold (CDU), Heinz Kühn (SPD) und Johannes Rau (SPD), drei Granden unter den Regierungschefs.

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Wiederwahl hebt Hendrik Wüst in in die oberste Reihe der Unionspolitiker

Einer der bekanntesten Sätze von Karl Arnold gelte auch in heutiger Zeit, sagt Wüst: „Nordrhein-Westfalen will und wird das soziale Gewissen der Bundesrepublik sein.“ Wüst umwarb anlässlich seiner Wiederwahl die anderen demokratischen Parteien im Landtag. Man dürfe sich nicht im parteipolitischen Kleinklein verlieren. „Was die SPD für den Zusammenhalt getan hat, nicht nur unter Johannes Rau, hat NRW zu dem weltoffenen, vielfältigen Land gemacht, das es heute ist. Mit ihrem Zutrauen in unternehmerische Eigenverantwortung, Freiheit und Gründergeist hat die FDP in diesem Land viele Bremsen gelöst – nicht nur in den letzten fünf Jahren“, lobt Wüst.

SPD und Liberale, die Verlierer der Landtagswahl, haben allerdings schon klargestellt, dass sie es Schwarz-Grün nicht leichtmachen werden. Für SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty steht Wüst an der Spitze einer „Koalition der Besserverdienenden“.

Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, kam mit seiner Ehefrau Katharina und Tochter Philippa in den Landtag.
Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, kam mit seiner Ehefrau Katharina und Tochter Philippa in den Landtag. © dpa | Marius Becker

Die Wiederwahl hebt den alten und neuen NRW-Ministerpräsidenten in die oberste Reihe der Unionspolitiker in Deutschland. Er könnte – wie der zweite neue „Star“ der Union, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, mitmischen, wenn sich CDU und CSU in ein paar Jahren auf einen Kanzlerkandidaten einigen. Er hat jetzt ähnlich viel Gewicht in seiner Partei wie der Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, wirkt aber frischer und smarter als der viel ältere Merz.

Wie Markud Söder und Olaf Scholz: Wüst hat die Macht der Bilder verinnerlicht

Hendrik Wüst blickt auf eine bemerkenswerte Entwicklung zurück. Er hat sich praktisch selbst neu erfunden. Einst, als Generalsekretär der CDU in NRW, galt er als Hasardeur mit lockerem Mundwerk. Er stolperte 2010 über die von ihm verantwortete „Rent a Rüttgers“-Affäre. Damals hatte die CDU-Landesgeschäftsstelle Sponsoren Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gegen Geld angeboten, und Wüst stand kurz vor dem Karriereende.

Er scheint aus seinen Fehlern gelernt zu haben. Heute denkt Wüst sorgfältig nach, bevor er etwas sagt. Das macht seine Rhetorik etwas holprig, aber sie hilft ihm dabei, Fehler zu vermeiden. „Jeder Mensch hat zwischen 29 und 47 eine Phase, in der er ein bisschen ruhiger wird, und das hat wahrscheinlich nicht geschadet“, sagt er rückblickend. Wüst gehört auch, wie zum Beispiel Markus Söder und Olaf Scholz, zu jenen Politikern, die die Macht der Bilder verinnerlicht haben. Ein Lacher im Flutgebiet wie bei Armin Laschet? Bei ihn nicht vorstellbar.

Erste Forderungen aus mächtigen Verbänden an den neuen Ministerpräsidenten

Bei seiner ersten Ministerpräsidenten-Wahl im Oktober 2021 kam er mit Ehefrau Katharina und Töchterchen Philippa, den Kinderwagen schiebend, zum Landtag. Der stramme Konservative von früher präsentiert sich in der Öffentlichkeit als fürsorglicher Familien- und damit – in Bildern gedacht – auch als vertrauenswürdiger Landesvater, der weiß, dass sich viele Menschen nach (sozialer) Sicherheit sehnen. Professionelles Auftreten ist ihm heute wichtig, nicht Polemik. Am Mittwochabend, wenn Wüst und seine Ministerinnen und Minister die Blumensträuße zur Seite legen, beginnen die Mühen der Regierungsarbeit.

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In die Glückwünsche mischten sich schon am Dienstag erste Forderungen aus den mächtigen Verbänden. „Der neue Ministerpräsident muss Bildung zur Chefsache machen“, mahnte Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). „Die soziale Spaltung in NRW muss überwunden werden“, schrieb DGB-Landeschefin Anja Weber. Die Betriebe in NRW benötigten ausreichend Spielräume, unterstreicht Unternehmer-NRW-Präsident Arndt G. Kirchhoff. Die großen Krisen und Herausforderungen spielten in Wüsts kurzer Rede keine Rolle. Inflation, explodierende Energiepreise, ausbleibende Gaslieferungen, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine – viel Stoff für Hendrik Wüsts Regierungserklärung nach der Sommerpause.