Essen. Einen Neustart in der Schulpolitik erwarten Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen. Dies sind ihre Forderungen an die neue Landesregierung.
Alles auf null. Nicht weniger als einen Neustart erwarten viele Eltern und Lehrkräfte von der Schulpolitik der neuen Landesregierung. Ein Weiter so kann es angesichts des Wahldebakels für die FDP, die mit Schulministerin Yvonne Gebauer ein prominentes Kabinettsmitglied der alten Landesregierung stellte, nicht geben. Der Verband Lehrer NRW hofft, dass „insbesondere die Christdemokraten die Bildungspolitik nicht so stiefmütterlich behandeln, wie das in der abgewählten schwarz-gelben Koalition der Fall war.“ Welche zentralen Erwartungen haben Eltern, Lehrer- und Bildungsverbände an den Koalitionsvertrag von CDU und Grünen?
Die Eltern:
„Das drängendste Problem ist zweifelsohne der Lehrkräftemangel im ganzen Land und in allen Schulen“, sagt Ralf Radke, Vorsitzender der Landeselternschaft der integrierten Schulen (Leis) in NRW. Allerdings zeige sich hier eine systematische Bevorzugung der Gymnasien durch die scheidende Ministerin. Während diese personell gut abgesichert seien, fehle es an anderen Schulen „an allen Ecken und Kanten“. Vor allem Schulen in sozial schwierigen Standorten der Großstädte hätten es immer noch besonders schwer. „Darum brauchen wir schnell einen wirkungsvollen und funktionierenden Sozialindex“, so Radke. „Wir müssen endlich die Priorisierung der Gymnasien und des gegliederten Schulsystems beenden“, betont der Leis-Vorsitzende.
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Radke rechnet auch mit der Corona-Politik von FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer ab. Vorschläge der Verbände seien abgeschmettert worden. Auch mit Blick auf den Herbst seien Programme und Maßnahmen nötig, die alle Schülerinnen und Schüler mitnehmen.
Einen anderen Akzent setzt die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW. „Nur wenn alle Säulen des gegliederten Schulsystems feststehen, können unsere Kinder ihren individuell richtigen Bildungsweg einschlagen“, betont Verbandsvorsitzender Oliver Ziehm. „Vor allem die Gymnasien brauchen ein möglichst homogenes Leistungsniveau, um ihrem Auftrag gerecht zu werden.“
Sorgen bereite den Gymnasialeltern der Fachlehrermangel im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sowie der Lehrermangel auf dem Land. Die Förderschulen sollten erhalten und gestärkt werden, die Inklusion sollte an Gymnasien möglichst nur „zielgleich“ erfolgen. Das heißt, dass beim gemeinsamen Unterricht alle Schülerinnen und Schülern das gleiche Lernziel erreichen sollen.
Die Schulleitungen:
Die Schulleiterinnen und Schulleiter in NRW fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Für die komplexen Aufgaben der Leitung einer großen Schulgemeinde fehle Wertschätzung und angemessene Vergütung, sagt Antonietta Zeoli, Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung (SLV) NRW. Die neue Schulleitergeneration habe zahlreiche Managementaufgaben und wird „paradoxerweise nach wie vor als Lehrkräfte mit zusätzlichen Verwaltungsaufgaben vergütet“, so Zeoli.
„Es reicht nicht, Lehrerstellen auszuschütten, wenn diese nicht besetzt werden können. Es reicht nicht, Gelder bereit zu stellen, wenn diese die Schulen faktisch nicht erreichen. Es reicht nicht, I-Pads original verpackt an Schulen zu liefern“, sagt Zeoli. Von der neuen Landesregierung erhofft sie sich, dass sie künftig den Rat der Schulleitungen einholt.
Die Bildungsverbände:
Ganz oben auf der Forderungsliste der Bildungsverbände stehen mehr Geld und Personal. „Versprechungen unterrichten nicht“, stellt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit Blick auf das Sondierungspapier von CDU und Grünen klar. Die Bildungsgewerkschaft fordert daher ein „Sondervermögen Bildung“, um den Investitionsstau im Bildungsbereich aufzulösen. Die Kapazitäten für der Lehrkräfteausbildung müssten massiv ausgebaut werden. Eine gleiche Bezahlung aller Lehrkräfte an allen Schulformen müsse die neue Landesregierung bereits in den ersten 100 Tagen umsetzen.
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Sven Christoffer, Vorsitzender von Lehrer NRW, geht es vor allem um die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung. „Der Akademisierungswahn ist eine der größten bildungspolitischen Fehlentwicklungen der letzten Jahre“, so Christoffer. Die neue Landesregierung müsse die duale Ausbildung stärken. Dazu müssten in erster Linie die Schulformen unterstützt werden, die ihre Schülerinnen und Schüler zur Ausbildungsreife führen, nämlich Realschulen und Hauptschulen sowie Sekundarschulen und Gesamtschulen.
In seinem Acht-Punkte-Plan für die Bildung zielt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) vor allem auf die Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Dazu müsse der Lehrkräftemangel bekämpft und die Zahl der Studienplätze und der Studienstandorte für die Lehramtsausbildung ausgebaut werden. Der schulscharfe Sozialindex müsse verbessert werden. Schließlich müsse das Land mit Geld, Räumen und Fachpersonal die Voraussetzungen für den Ausbau des Ganztags schaffen.
Die Schutzgemeinschaft angestellter Lehrerinnen und Lehrer (Schall) in NRW fordert angesichts des Lehrermangels eine Aufwertung des Berufs. Das bedeute auch, dass angestellte und verbeamtete Lehrkräfte beim Netto-Einkommen gleichgestellt werden müssten.
Den Unterhändlern der Parteien bei den Koalitionsverhandlungen gibt Elternvertreter Ralf Radke noch einen besonderen Wunsch mit auf den Weg: „Das Schulministerium ist kein müffelnder Wanderpokal, der an die Partei geht, die am leisesten ,Wir nicht‘ ruft.“ Nötig sei jetzt eine pragmatische Schulpolitik im Zusammenspiel mit den Verbänden.