Düsseldorf. Der Krankenhausplan NRW soll das Angebot neu strukturieren. SPD spricht von „Anleitung zum Schließen“, Minister von Qualitätssicherung.

Zweieinhalb Wochen vor der Landtagswahl hat der neue Krankenhausplan von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eine Debatte über mögliche weitere Klinikschließungen an Rhein und Ruhr entfacht.

NRW-SPD-Chef: "Anleitung zum Schließen von Krankenhäusern"

NRW-SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty befürchtet ein „Ausbluten“ der Krankenhauslandschaft und sagte dieser Redaktion: „Es darf nicht sein, dass allein der Markt darüber entscheidet, welche Krankenhäuser weiter bestehen und welche nicht. Genau das droht aber mit dem Krankenhausplan, den die schwarz-gelbe Landesregierung jetzt kurzfristig vor der Landtagswahl noch vorgelegt hat.“ Beim genauen Hinsehen zeige sich, dass dieser Plan eine „Anleitung zum Schließen von Krankenhäusern“ sei.

Verdi befürchtet eine "Berufsflucht"

Bei den Beschäftigten ist ebenfalls die Sorge groß, dass es zu einer neuen Welle an Fusionen und Häuserschließungen kommt: Man rechne mit weiter verschlechterten Arbeitsbedingungen und einer verstärkten „Berufsflucht“ aus den Krankenhäusern, erklärte eine Sprecherin der Gewerkschaft Verdi. Es fehle zudem eine tragfähige ambulante Struktur, welche den Wegfall von Krankenhäusern kompensieren könne.

Kliniken vorsichtig optimistisch

Die Kliniken sehen auf sich eine „spannende und entscheidende Phase“ zukommen, zeigen sich aber gesprächsbereit. „Wir vertrauen darauf, dass dieser Prozess mit Umsicht und Augenmaß gestaltet wird. Denn im Mittelpunkt muss eine verlässliche und hochwertige Gesundheitsversorgung für die Patientinnen und Patienten in allen Regionen des Landes stehen“, sagte Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW).

Nach 20 Minuten-Autofahrt soll für die meisten eine Klinik erreichbar sein

Laumann hatte am Mittwoch ein 379-seitiges Konzept veröffentlicht, das die medizinischen Angebote der 337 Krankenhäuser in NRW künftig besser koordinieren soll. Bei bestimmten Leistungen wie Bauchspeicheldrüsen-Operationen oder Knie-Prothesen soll es zu einer stärkeren Spezialisierung kommen. Eine internistische und chirurgische Standardversorgung soll jedoch für 90 Prozent der Bevölkerung mit 20 Minuten Autofahrt erreichbar bleiben.

Klinikbetreiber und Krankenkassen müssen sich nun ab Juni anhand von festgelegten Qualitätskriterien auf Planungskonzepte für NRW-weit 16 Versorgungsgebiete verständigen. Erst danach steht fest, welche Abteilungen fusioniert oder geschlossen werden müssen. Viele Kliniken sind in finanzieller Schieflage, weil die Investitionsmittel des Landes nicht reichen und mit Behandlungspauschalen kein wirtschaftlicher Betrieb möglich ist. Der freie Wettbewerb um Fallpauschalen für bestimmte Leistungen sei gescheitert, so Laumann: „In den Ballungsräumen konkurrieren Krankenhäuser in einer dichten Struktur oft um die gleichen spezialisierten Leistungen, während in einigen ländlichen Regionen sogar Unterversorgung droht.“

Hier erfahren Sie, was im Zusammenhang mit dem Krankenhausplan wichtig ist

Was ist das Problem?

In NRW gibt es 337 Krankenhäuser mit rund 286.000 Beschäftigten, 114.900 Betten und rund vier Millionen Patienten pro Jahr. Da medizinische Leistungen sehr unterschiedlich honoriert werden, haben es kleine Häuser ohne hohe Operationszahlen oft schwer. Hinzu kommt: Den NRW-Krankenhäusern fehlen Jahr für Jahr rund 1,2 Milliarden Euro an Investitionsmitteln für die Modernisierung von Anlagen und Gebäuden. In den Ballungsräumen konkurrieren oft Krankenhäuser mit identischem Angebot um Patienten, auf dem Land hingegen herrscht Unterversorgung.

Welche Überschrift steht über dem Krankenhausplan NRW?

„Das System muss für die Menschen da sein und nicht die Menschen für das System.“ Das bedeutet im Kern: Der zum Teil ruinöse marktwirtschaftliche Wettbewerb von Kliniken, in dem der Patient als Wirtschaftsfaktor gilt und die Zahl der Planbetten zählt, soll so umgebaut werden, dass Patienten in der Stadt und auf dem Land die bestmögliche Versorgung bekommen. Es geht vor allem um den Bedarf in einer Region.

Wie läuft die Systemumstellung?

Laumann verpflichtet Krankenhäuser und Krankenkassen ab Juni, für 16 Versorgungsgebiete sogenannte regionale Planungskonzepte zu erarbeiten. Dabei müssen sie sich an Qualitätsvorgaben und Fallzahlen halten. Laumann will Behandlungsschwerpunkte erreichen - und so für die Patienten mehr Qualität durch ein höheres Maß an Spezialisierung. Nicht jedes Krankenhaus soll etwa ein paar Operationen pro Jahr im Angebot halten, nur weil die Vergütung vergleichsweise attraktiv ist. Können sich Kassen und Klinikbetreiber nicht einigen, entscheidet das Land.

Wird der Weg zur Klinik länger?

Das kommt darauf an, welche Krankheit man hat. Bestimmte Angebote des „Brot- und Buttergeschäfts“, das sehr viele Menschen benötigen – Innere Medizin, Chirurgie, Intensivmedizin - soll es „wohnortnah“ geben. Das heißt, sie müssen für „90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in NRW innerhalb von 20 Pkw-Fahrzeitminuten“ erreichbar sein. Auf dem Land kann der Krankenbesuch mit Bus und Bahn dann aber auch schon mal erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Droht ein Klinik-Kahlschlag?

Schwer zu sagen. Der Krankenhausplan sieht vor, dass bei (hoch-) spezialisierten Leistungen „größere Entfernungen akzeptiert werden können“. Das können komplizierte Eingriffe bei Krebs oder Herzerkrankungen sein. Besonders häufige Operationen wie „Knie“ und „Hüfte“ sollen weiter vielerorts angeboten werden. Es dürfte aber regional zu Klinikfusionen kommen, um Kosten zu sparen und auf die neuen Fallzahlen zu kommen. Die Freiheit, sich eine Klinik auszusuchen, wird nicht angetastet. Die Uni-Kliniken sind von dieser Krankenhausplanung ausgenommen.

Wie wirkt die Pandemie auf die Pläne?

Stark. In der Planung heißt es: „Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine möglichst flächendeckende Krankenhausversorgung ist und dass ausreichende Reservekapazitäten eine große Bedeutung haben.“ Hier besonders im Fokus: Die Bedeutung der Intensivmedizin und der Lungenheilkunde.

Was sagen die Klinikbetreiber?

Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), erwartet einen spannenden Abstimmungsprozess über die neue Kliniklandschaft. Im Mittelpunkt müsse eine verlässliche und hochwertige Gesundheitsversorgung für die Patienten in allen Regionen des Landes stehen. „Das heißt eben auch, dass die Krankenhäuser durch einen vom Land möglicherweise veränderten Versorgungsauftrag nicht in eine wirtschaftliche Schieflage geraten dürfen“, sagte Blum. Corona habe allen vor Augen geführt, „wie wichtig belastbare wohnortnahe Versorgungsstrukturen sind“.

Was fürchten die Beschäftigten?

Die Sorge, dass Abteilungen geschlossen oder in größeren Verbünden zusammengelegt werden, ist vielerorts vorhanden. „Die Umsetzung wird zu einer Vielzahl von Umstrukturierungen und Zentralisierungsprozessen der Krankenhauslandschaft in NRW führen. Das bedeutet: bei ohnehin zu geringer Personalausstattung werden eingespielte Systeme im laufenden Geschäft auseinandergerissen werden“, sagte eine Verdi-NRW-Sprecherin.

Was kritisiert die Opposition?

SPD-Chef Thomas Kutschaty spricht von einer „Anleitung zum Schließen von Krankenhäusern“. Um die neuen Qualitätskriterien und Anforderungen zu erfüllen, müssten die Kliniken jetzt massiv in einen Umstrukturierungsprozess investieren. Dafür brauche es Geld, das insbesondere kleinere Häuser aber nicht hätten und das vom Land auch nicht zur Verfügung gestellt werde.