Bochum. Um einen Mord aufzuklären, muss der Todeszeitpunkt der Leiche bekannt sein. Forscher der Ruhr-Uni Bochum nutzen dabei die Hilfe von Insekten.

Zuerst kommen die Schmeißfliegen. Sie legen schon nach ein bis zwei Stunden nach dem Tod in der Leiche ihre Eier ab. Nur wenige Tage später wimmelt der leblose Körper von Leben: Zahlreiche Maden schlüpfen und ernähren sich von dem toten Gewebe, bis sie schließlich zu Fliegen werden.

Später gesellen sich andere Fliegenarten hinzu, verschiedene Käfer werden angelockt. Das rege Leben auf Leichen ist für Forscher und Forensiker sehr aufschlussreich: Finden sie an einem Tatort Maden in einem bestimmten Entwicklungsstadium, können sie daraus schließen, wie alt sie sind und wann die Eier abgelegt wurden. Das entspricht dann ungefähr dem Zeitpunkt des Todes.

In Europa fehlt das Basiswissen

In den USA ist die Methode, die Forensische Entomologie, bereits gut etabliert. In Europa fehle aber bislang das Basiswissen dafür, berichtet die Ruhr-Universität Bochum in ihrem Forschungsmagazin „Rubin“. Das Wissen aus den USA lasse sich nicht einfach auf Europa übertragen, weil es hier unterschiedliche Insektenarten gibt und deren Entwicklung von vielen Umweltfaktoren abhängt.

Regelmäßig entnimmt Ersin Karapazarlioglu Proben und bestimmt die Insektenspezies.
Regelmäßig entnimmt Ersin Karapazarlioglu Proben und bestimmt die Insektenspezies. © RUB | Roberto Schirdewahn

Diese Wissenslücken will das Bochumer Forscherteam um Ersin Karapazarlioglu von der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der Ruhr-Uni Bochum in der Arbeitsgruppe von Prof. Wolfgang Kirchner mit ihren Arbeiten nun schließen. Und es passt gut zum Forschungsgegenstand, dass Karapazarlioglu, bevor er 2020 nach Deutschland kam, 17 Jahre in der Türkei als Kriminalbeamter und Dozent an einer Polizeihochschule arbeitete. An allen Tatorten habe er bei seinen Ermittlungen stets Ausschau nach Insekten gehalten.

„Nach einem Mord werden Leichen häufig vergraben“

Die Methode mit den Schmeißfliegen funktioniert etwa einen Monat lang, dann haben sich die Maden in Fliegen verwandelt und ein anderes Verfahren muss her. Hier helfen Insektenarten, die sich nicht ganz so rasch am Tatort einfinden wie die Fliegen, etwa diverse Käfer, die erst in einem späteren Verwesungsstadium auftauchen, berichten die Forscher. Das Vorkommen bestimmter Arten hilft Ermittlerinnen und Ermittlern abzuschätzen, vor wie vielen Wochen oder Monate der Tod eintraf.

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Karapazarlioglu und sein Team erforschen derzeit, welche Insektenarten in Deutschland im Verlauf der Jahreszeiten am Verwesungsprozess beteiligt sind und ob es einen Unterschied macht, wie tief in der Erde ein Körper vergraben liegt. „Nach einem Mord werden Leichen häufig vergraben, um die Tat zu vertuschen. Allerdings nicht besonders tief“, sagt der ehemalige Kripo-Beamte. Daher kann der Verwesungsprozess ein anderer sein als tief unter der Erde. Bislang habe das aber noch niemand untersucht.

Forscher konstruierte Beobachtungsgrab

Um den unterschiedlichen Prozessen auf die Spur zu kommen, hat der Biologe ein spezielles Beobachtungsgrab mit Tierkadavern konstruiert. Das „Grab“ ist an einer Seite mit einer Plexiglasscheibe verschlossen, so dass man ins Innere blicken und Proben entnehmen kann. Einen weiteren Kadaver hat er zum Vergleich an der Erdoberfläche dem Befall von Insekten ausgesetzt. Regelmäßig nimmt er von beiden Körpern Proben und vergleicht die Zusammensetzung der Insekten.

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„Die Ergebnisse zeigen, dass das Begraben eine Rolle für den Verwesungsprozess und die Insektenbesiedlung spielt.“ Bislang gebe es nur wenige Studien dazu an vergrabenen Leichen, so der Forscher. „Daher erhoffen wir uns von diesen Experimenten wertvolle Daten für Morduntersuchungen.“