Düsseldorf. Der Ukraine-Krieg verunsichert Kinder und Jugendliche und verändert wohl auch an den Schulen die Sicht aufs Militär.
Der Krieg in der Ukraine erhöht die Nachfrage von Schulen in NRW nach Informationsveranstaltungen durch Jugendoffiziere der Bundeswehr. „Die Zuwächse an Anfragen durch den Krieg in der Ukraine sind deutlich erkennbar. Die Jugendoffiziere sprechen von einem signifikanten Anstieg, manche sogar von einer Verdoppelung der Einsatzzahlen“, sagte Oberstleutnant Stefan Heydt vom Landeskommando NRW dieser Redaktion.
Allein im ersten Quartal 2022 zählten die Jugendoffiziere bereits 170 durchgeführte oder beabsichtigte Vorträge. Alles beherrschendes Thema: Der Krieg in Osteuropa. Im Jahr 2021 seien es insgesamt 250 Vorträge gewesen, so der Presseoffizier.
Aus dem NRW-Schulministerium hieß es, der Einsatz von Jugendoffizieren in Schulen könne „einen wichtigen Beitrag“ zur pädagogischen Auseinandersetzung mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine leisten.
Jugendforscher: "Die Meinungen werden auseinandergehen"
Laut dem Jugend- und Protestforscher Christian Lahusen dürfte sich bei Jugendlichen die Einsicht durchsetzen, dass die Freiheit auch wehrhaft sein müsse. Jugendliche seien in dieser Frage gespalten. „Das Vertrauen in die Bundeswehr ist seit Jahren sehr hoch. Auch befürworten die meisten ihre Verteidigungsfunktion, aber generell ist die Skepsis gegenüber Militäreinsätzen und Aufrüstung groß. Die Meinungen zur deutlichen Erhöhung der Militärausgaben werden deshalb auseinandergehen“, erklärte Lahusen im Interview mit dieser Redaktion.
Die Landesschülervertretung (LSV) in NRW lehnt den Einsatz von Jungoffizieren an Schulen ab: „Wir wollen nicht, dass sie in dieser Situation an Schulen für ihren Beruf werben. Sie vertreten keine neutrale Position und können nicht alle politischen Sichtweisen auf den Krieg beleuchten. Die Schüler können sich so keine fundierte Meinung bilden“, warnt Laura Körner vom LSV-Vorstand.
Unterstützung durch CDU und FDP
Die Regierungsfraktionen von CDU und FDP haben eine „Parlaments-Offensive“ für die Stärkung der Bundeswehr auf den Weg gebracht. CDU-Bundeswehr-Beauftragter Dietmar Panske sagte danach in Bezug auf die Infos der Streitkräfte in Schulen: „Es kann nicht sein, dass Schulen Jugendoffizieren den Zutritt verweigern, weil sie mit ,dem Militär‘ nichts zu tun haben wollen.“
Pädagogen-Verbände beurteilen das Engagement der Bundeswehr in Schulen unterschiedlich. Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands NRW, hat Verständnis für die Position der Landesschülervertretung. „Wir brauchen jetzt im Moment keine Soldaten an Schulen“. Weniger kritisch beurteilt der Philologenverband NRW den Besuch der Truppe im Klassenzimmer. „Der Ukraine-Krieg ist selbstverständlich Thema in der Schule und im Unterricht“, sagt die Vorsitzende Sabine Mistler.
Kooperationsvereinbarung zwischen Schulministerium und Bundeswehr
Die 15 Jugendoffiziere, die in NRW Schulen besuchen, verstehen sich als Experten für Sicherheitspolitik. Seit 2007 ist ihr Engagement mit einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und dem NRW-Schulministerium geregelt, der jährlich verlängert wird. Diese Soldaten informieren über Friedens- und Sicherheitspolitik, dürfen aber nicht für die Arbeit in der Bundeswehr werben.
Oberstleutnant Stefan Heydt berichtet, dass manche Jugendoffiziere gerade doppelt so viele Veranstaltungen durchführen wie sonst üblich. Man rechne mit weiteren Zuwächsen. „Der Krieg in der Ukraine ist bestimmendes Thema. Die Jugendoffiziere teilen mit, dass der Anteil dieses Themas meist bei über 80 Prozent liegt“, so Heydt.
Jugendoffiziere könnten einen wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit dem Ukraine-Krieg leisten, betont das NRW-Schulministerium. Das Engagement der Armee in Schulen sei zu begrüßen: „Die Jugendoffiziere sind seit über 60 Jahren ein wichtiger Träger der Öffentlichkeitsarbeit und informieren über die Arbeit der Bundeswehr.“ Im Einvernehmen mit den Schulministerien der Länder leisteten sie einen grundlegenden Beitrag zur politischen Bildung.“
Schülervertreter lehnen Jugendoffiziere in den Schulen ab
Die LandesschülerInnenvertretung (LSV) in NRW lehnt allerdings Jugendoffiziere an Schulen ab: „Militarismus ist noch nie eine Lösung gewesen“, sagt Laura Körner (18) vom LSV-Vorstand. Die LSV hält die Kooperationsvereinbarung für einen Fehler. Körner: „Schülerinnen und Schüler sollten nicht allein gelassen werden mit dem Thema. Es müsste an der Schule Projekte geben, die das Thema aus vielen Perspektiven beleuchten, auch das politische System der Ukraine.“
Allerdings bemerkt Körner unter Jugendlichen seit dem Ausbruch des Krieges einen Wandel der Stimmung: „Dadurch ist bei vielen Jugendlichen eine Angst entstanden und daraus das Bedürfnis, dass Deutschland sich besser verteidigen können muss“, sagt die Schülerin. „Das verändert aber nicht die generelle Einstellung, dass Bundeswehr und Militär nicht die Lösung für Konflikte bedeuten.“ Die Politik müsse sich die Frage stellen, wie man Demokratie anders sichern könne als durch Aufrüstung.
Soldaten in der Schule, während "die Welt auf dem Kopf steht"?
Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands NRW, sagt: „Wir brauchen im Moment keine Soldaten an Schulen.“ In der aktuellen Situation, „in der die Welt auf dem Kopf steht“, sei das nicht sinnvoll und Sozialpädagogen und Psychologen wichtiger als Jugendoffiziere. Womöglich seien auch traumatisierte Flüchtlingskinder in der Klasse, da seien Soldaten an der Schule fehl am Platze. Für die Bundeswehr könnten Jugendoffiziere auch später noch Werbung machen.
Jetzt gehe es darum, die Fragen der jungen Menschen zu beantworten und die komplexe Situation zu erklären. „Das können auch die Lehrkräfte leisten“, findet Bartsch. So habe ihn kürzlich eine 14-Jährige gefragt, warum die Russen Putin nicht einfach abwählen? Bartsch: „Das ist doch eine ideale Einstiegsfrage, an der man das ganze Thema aufziehen kann.“
Philologenverband offen für das Info-Angebot der Bundeswehr
Der Philologenverband NRW verurteilt den Besuch der Truppe in den Klassen nicht. „Der Ukraine-Krieg ist selbstverständlich Thema in der Schule und im Unterricht“, sagt Verbandsvorsitzende Sabine Mistler. „Wenn Lehrerinnen und Lehrer von Jugendoffizieren unterstützt werden, kann das für den Unterricht eine thematische Bereicherung darstellen.“ Für einen verstärkten Einsatz dieser Offiziere sieht sie indes keinen Anlass. „Aus der Tatsache, dass Russland Krieg gegen die Ukraine führt, ergibt sich aus unserer Sicht kein weiterer Bedarf.“
Aus pädagogischer Sicht sei es wichtig, den Ukraine-Krieg altersgerecht, zurückhaltend und behutsam zu vermitteln. Kinder und Jugendliche, auch jene, die aus der Ukraine nach NRW kommen, dürften mit ihren Ängsten nicht allein gelassen werden.
Gewerkschaft GEW: "Schule ist kein Ort der Rekrutierung"
Die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ,Ayla Çelik, findet es zwar richtig, dass jetzt in Schulen über Krieg und Frieden geredet wird. „Bei dem Einsatz von Jugendoffizieren steht aber eher die Imagepflege für die Bundeswehr und Werbung für den Dienst als Soldatin und Soldat im Fokus, weniger die politische Bildung. Daher sehen wir den Einsatz nach wie vor kritisch“, so Çelik. Die Schule dürfe kein „Ort der Rekrutierung“ von jungen Menschen sein. Gute politische Bildung könne an dieser Stelle nicht durch die Armee geleistet werden, sondern sie gehöre – „auch und besonders in Fragen der Sicherheitspolitik“ – in die Hand von Pädagogen.