Münster. . Der Theologe und Priester Michael Seewald glaubt nach den Missbrauchsskandalen nicht an Reformen. Die Kirche blockiere weiter kritische Debatten.

Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche erschüttert. Mit Scham und Betroffenheit reagierten die Bischöfe im letzten Herbst auf die Veröffentlichung der Studie, die das Ausmaß des jahrzehntelangen Missbrauchs nur andeuten konnte. Anschließend versprach die katholische Kirche tiefgreifende Reformen. Daran glaubt der Theologe und Priester Michael Seewald (31) allerdings nicht. Der Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Uni Münster hat „wenig Hoffnung“, dass sich die starren innerkirchlichen Machtstrukturen lösen. Im Gespräch mit Christopher Onkelbach erklärt er, warum Kirche zu einer „problematischen Sonderwelt“ geworden ist.

Prof. Michael Seewald (31),Priester und Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster.
Prof. Michael Seewald (31),Priester und Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster.

Prof. Seewald, wie sollte die Kirche auf das erschütterte Vertrauen der Gläubigen reagieren?

Michael Seewald: Das Vertrauen in die Kirche ist nicht erst seit dem Missbrauchsskandal gestört. Die Kirchen werden immer weniger als heilige Sonderwelten akzeptiert. Damit zu leben, fällt der katholischen Kirche in ihrem Hang zur Selbstüberhöhung schwer. Lange konnte sie eine Sonderstellung reklamieren, die es möglich machte, dass der Missbrauch Minderjähriger systematisch vertuscht wurde. Wie solche Verbrechen geschehen konnten und wie sie sich künftig verhindern lassen, muss nun geklärt werden. Im Bereich des Jugendschutzes hat die Kirche in den letzten Jahren viel getan. Es muss aber auch ganz grundsätzlich über Macht und Machtkontrolle gesprochen werden. Dabei geht es ans Eingemachte.

Sie sind skeptisch, dass sich die Kirche reformieren kann?

Seewald: Ich glaube nicht, dass man sich an Fragen der innerkirchlichen Machtkontrolle ernsthaft heranwagt. Im Moment ist der öffentliche Druck so groß, dass die meisten Bischöfe gar nicht anders können, als Reformbereitschaft zu signalisieren. Damit wird es auch bald wieder zu Ende sein. 2010, als das Ausmaß des Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen erstmals öffentlich wurde, hat man einen großen Gesprächsprozess initiiert, um Ruhe an die sogenannte Basis zu bringen. Mehrere Jahre hat man geredet. Alles ohne Folgen.

Ist es in der Kirche möglich, offen zu diskutieren?

Seewald: Nein. Das Lehramt, das theoretisch vom Papst und den Bischöfen, faktisch aber von der Römischen Kurie ausgeübt wird, bestimmt, was gesagt werden darf und was nicht. Unbequeme Theologen werden überwacht und denunziert. Bei manchen wird sogar versucht, das Erscheinen von Büchern zu verhindern. Schriften werden zensiert. Wo Menschen in der katholischen Kirche offen reden, tun sie das nicht, weil die Institution sie dazu ermutigt, sondern weil sie sich ihre Freiheit nicht nehmen lassen.

Hat sich Kirche von der Lebenswelt der Menschen entfernt?

Seewald: Das kommt darauf an. Kirche ist ja auch das, was jeden Tag in Gemeinden, Schulen, Krankenhäusern oder Kindergärten vor sich geht. Dort zeigt sich die Kirche oft nah an der Alltagswelt. Das sollte man trotz der vielen Skandale nicht vergessen. Dogmatisch hingegen gibt es Bereiche, in denen die kirchliche Lehre auch gläubigen Katholiken nichts mehr sagt.

Sie meinen die kirchliche Beziehungs- und Sexualmoral?

Seewald: Zum Beispiel. Da hat die katholische Kirche ja ganz detaillierte Vorstellungen, was wie zu laufen und – vor allem – nicht zu laufen hat.

Wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für kirchliche Offenheit?

Seewald: Wann wäre kein guter Zeitpunkt, um offen zu sein?

Ließe sich die Kirche denn demokratisieren?

Seewald: Religionen können nie alle Merkmale einer Demokratie, zu denen ganz zentral die weltanschauliche Neutralität gehört, eins zu eins abbilden. Sie können sich aber sehr wohl in der inneren Ordnung an demokratische Standards halten. Dazu zählen Mitbestimmungsrechte, Machtkontrolle, Rechtssicherheit oder der Gleichheitsgrundsatz.

Der Zölibat wird immer lauter hinterfragt. Zudem haben Sie mit dem Vorstoß, Frauen die Priesterweihe zu verleihen, großes Aufsehen erregt.

Seewald: Ja, aber das sind zwei verschiedene Dinge. Der Zölibat ist eine kirchenrechtliche Vorschrift, das Nein zur Priesterweihe für Frauen hingegen eine Festlegung mit dogmatischem Anspruch.

Das ließe sich also nicht verändern?

Seewald: Das Lehramt, und das heißt faktisch die römischen Verwaltungsbeamten, würden sagen: nie und nimmer. Gründe geben sie dafür nicht an. Die Argumente gegen die Frauenordination sind schwach und wirken konstruiert. Wenn man in der katholischen Kirche aber eins lernt, dann das: Gute Argumente interessieren eine auf Selbsterhaltung getrimmte Hierarchie nicht. Daher sollte man Frauen auch keine falschen Hoffnungen machen.

Welche Aufgaben kann Kirche heute glaubwürdig vertreten?

Seewald: Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, die Jesus nachfolgen. Wenn die Kirche diese Nachfolge in Wort und Tat ernst nimmt, ist sie ganz bei sich, leistet einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft und bliebe unbequem zugleich.

Sie sind auch Priester, warum?

Seewald: Weil ich das als meine Form der Nachfolge Jesu begreife.

Was sagen Sie den Menschen, die über einen Kirchenaustritt nachdenken?

Seewald: Ich selbst würde nie austreten, aber: Good Luck.

>>> Zur Person Michael Seewald:

Mit 29 Jahren wurde Michael Seewald jüngster Theologie-Professor Deutschlands. Als Vorstandsmitglied des Exzellenz-Clusters „Religion und Politik“ an der Uni Münster zählt der 31-Jährige zu den Spitzenforschern auf seinem Gebiet. Einer seiner Vorgänger an der Katholisch-Theologischen Fakultät war Joseph Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. wurde. Im Jahr 2013 wurde Seewald zum Priester geweiht.