conkelbach. Nach vier Corona-Semestern liegen die Nerven vieler Studierender blank, und ihre finanziellen Nöte werden größer. Ein Hilferuf.
Tobias Zorn fällt die Decke auf den Kopf. Sein Studium findet seit vier Corona-Semestern zu großen Teilen in seiner Einzimmerwohnung in Köln statt. Die Uni sieht er selten: Videokonferenzen statt Vorlesungen, Online-Debatten statt Seminare. Dabei sollte das Wintersemester 2021/22 eigentlich ein Präsenzsemester werden. Zuletzt befand sich Zorn zehn Tage in Quarantäne und macht sich nun Sorgen, ob er seine Prüfungen besteht. Dabei habe er noch Glück, dass er seinen Nebenjob noch hat. „Viele meiner Kommilitonen haben Finanzprobleme“, sagt der 23-Jährige.
So wie ihm geht es vielen der rund 770.000 Studierenden in NRW. „Die verzweifelte Lage vieler Studierender wird seit Beginn der Pandemie nicht ernst genommen“, sagt Zorn. Deshalb engagiert er sich im „Bündnis Solidarsemester“, einer bundesweiten Initiative von Studierenden-Vertretungen und Hochschulgruppen, der auch das Landes-Asten-Treffen (LAT) NRW als landesweite Studierendenvertretung angehört. Mit einem Forderungskatalog appelliert das Bündnis an die Politik, die prekäre Situation vieler Studierender in den Blick zu nehmen.
Wünsche: Mehr Geld, Freiversuche, großzügige Fristen
Vor allem finanzielle Unterstützung sei dringend nötig. „Im September 2021 sind die Überbrückungshilfen des Bundes ausgelaufen. Mit der Corona-Variante Omikron verschärft sich die Situation stetig, daher braucht es jetzt unbürokratische Finanzhilfen mindestens in Höhe des Bafög-Höchstsatzes von 861 Euro“, fordert das Bündnis. Zudem sei eine zeitnahe Reform des Bafög nötig, nur noch elf Prozent der Studierenden kommen in den Genuss der Studienförderung. Studienabbrüche aus Geldnot müssten aber verhindert werden.
Eine Verlängerung der Regelstudienzeit um drei Semester sowie eine Verlängerung von Prüfungs- und Finanzierungsfristen für jedes Semester unter Pandemiebedingungen sind weitere Forderungen. Zudem: Mehr Personal und mehr Computer, mehr Hilfe für ausländische Studierende sowie Freiversuche für Prüfungen.
Das sagen die Rektoren:
Nur etwa 25 Prozent der Veranstaltungen konnten in den vergangenen zwei Monaten in Präsenz stattfinden, teilt die Landesrektorenkonferenz mit. Auch in der laufenden Prüfungsphase würden die Unis, wo es möglich ist, Prüfungen digital anbieten. Zu einem größeren Ausbruchsgeschehen sei es aber bislang nicht gekommen.
Dass viele Studierende nach vier Corona-Semestern in Not sind, registrieren auch die Hochschulen. „Mit einer gewissen Sorge blicken wir auf die deutlich gestiegene Nachfrage nach psychosozialen Beratungsangeboten“, so die LRK. Bereits im Dezember habe man mit dem Land zusätzliche Mittel dafür bereitgestellt. Auch die Verlängerung der Regelstudienzeit um ein Semester wurde fortgesetzt. So bleibe der Anspruch auf Bafög bei einer coronabedingten Verlängerung des Studiums bestehen.
Mit Zuversicht blicken die Hochschulen aufs Sommersemester. Die LRK erwartet auch angesichts der hohen Quote von vollständig Geimpften - Umfragen sprechen von 80 Prozent - eine Entschärfung der Situation und hofft auf einen höheren Präsenzanteil.
Die Position der Landesregierung:
Die NRW-Regierung erklärt, sie habe schon viel für die Studierenden getan: Für den Ausbau der psychosozialen Begleitung von Studierenden stelle das Wissenschaftsministerium den Studierendenwerken und den Hochschulen 3,1 Millionen Euro zur Verfügung. Die Freiversuchsregelung im Falle einer nicht bestandenen Prüfung für das laufende Wintersemester 2021/22 wurde erneut verlängert. Mit einer erneuten Verlängerung der Regelstudienzeit für das Wintersemester 2021/2022 seien die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass sich die Bafög-Förderungshöchstdauer verlängert.
Mit der Initiative "E-Books.NRW" stelle das Land bis 2023 insgesamt 40 Millionen Euro für E-Book-Lizenzen zur Verfügung. So soll ein landesweiter Zugang für Studierende zu E-Books sichergestellt werden.
Das Wissenschaftsministerium gebe den Studierendenwerken in NRW außerdem sechs Millionen Euro für die digitale Infrastruktur in den Studierendenwohnheimen.
Die Gewerkschaft GEW mahnt:
„Die Verlängerung des Bäfög-Anspruchs war ein guter erster Schritt, löst die Nöte der Studierenden allerdings nicht. Deshalb wäre es sinnvoll die Bafög-Verlängerung mit einer Anhebung von verschiedenen Altersgrenzen, etwa beim Kindergeld und der Familienversicherung, zu ergänzen“, meint Ayla Çelik, NRW-Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. Aber nicht nur Geldsorgen belasteten die Studierenden. „Politisch muss dafür Sorge getragen werden, dass der Druck von ihnen genommen wird. Studierende sollten keine Existenzsorgen haben und sich auf ihr Studium konzentrieren können.“
Was die Grünen sagen:
„Die Landesregierung versucht, die Studierenden in den Normalbetrieb zu zwingen. Dass Normalbetrieb aber in Zeiten einer Pandemie möglich ist, ist ein Irrglaube“, sagt Matthi Bolte-Richter, Hochschulexperte der Grünen im Landtag. Dem Druck von Studierenden und Grünen, die Regelstudienzeit für das laufende Semester zu verlängern, habe Ministerin Pfeiffer-Poensgen „endlich nachgegeben“. Damit könnten Studierende länger Bafög erhalten.
„Die Regierung schreibt aber leider weiterhin vor, dass die Lehre in diesem Wintersemester in der Regel in Präsenz stattfinden soll. Diesen Präsenzzwang ohne Rücksicht auf das Infektionsgeschehen halten wir für falsch“. Studierende hätten ein Recht darauf, sich zu schützen. „Die Hochschulen haben aber nicht die Möglichkeiten, dass auch nur die Hälfte der Studierenden mit Abstand in durchlüfteten Räumen sitzen könnte. Da hilft es nur, Lehre in hybriden Formaten durchzuführen. Die Hochschulen müssen dafür besser finanziert werden.“