Hamm. Die Chefin der Autobahn GmbH Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek, fordert eine Entbürokratisierung im deutschen Fernstraßenbau.

Frau Sauerwein-Braksiek, Sie sind zuständig für ein Zehntel des deutschen Autobahnnetzes und damit auch für rund 2330 Brücken. Momentan verlangen aber sicher die A 45 und das Brückendesaster bei Lüdenscheid Ihre volle Aufmerksamkeit?

Sauerwein-Braksiek: Nicht nur. Das ist ja kein Problem der A 45 allein. Dort treten die Probleme geballt auf, weil wir auf der Sauerlandlinie eine Brücke nach der nächsten haben. Aber das Thema begleitet uns überall. Außerdem geht es in Deutschland nicht nur um Straßenbrücken. Eisenbahnbrücken sind bei uns genauso alt wie die Autobahnbrücken, zum Teil noch älter.

Wie ist im Fall Rahmede der aktuelle Stand?

Wir planen derzeit mit Hochdruck. Um Zeit zu gewinnen, machen wir derzeit vieles parallel, was man normalerweise nacheinander macht. Es gibt erste Gespräche mit Anliegern im Tal unter der Brücke über Grunderwerb für den Neubau und für das Anlegen von Baustraßen. Die Kampfmittelsondierung läuft, der Bodengutachter ist dabei zu prüfen, wie er in das schwer zugängliche Gelände unterhalb der Brücke hineinkommt. Wahrscheinlich muss er sich von den Talflanken abseilen wie ein alpiner Bergsteiger. Gleichzeitig stehen wir mit Naturschutz- und Fachbehörden in Kontakt. Und dann prüfen wir, ob wir die Brücke sprengen können oder ob wir sie kleinteilig von unten abbrechen müssen.

Das ist noch nicht entschieden?

Nein. Eine Spezialfirma prüft das gerade. Eine Sprengung wäre natürlich der schnellste Weg. Dann haben wir die alte Brücke ruckzuck weg und können an gleicher Stelle neu bauen. Andernfalls müssen wir eine Gerüst-Brücke unter die Brücke setzen, um sie Stück für Stück abzubauen.

Ob Leverkusen, Duisburg-Neuenkamp oder zuletzt die A 43-Brücke über den Rhein-Herne-Kanal: Seit Jahren sorgen die maroden Autobahn-Brücken für Schlagzeilen. Diesmal ist die öffentliche Aufmerksamkeit besonders groß. Wird Rahmede zum „Kipppunkt“ im Autobahnwesen?

Rahmede ist tatsächlich eine neue Dimension. Bisher haben wir den Verkehr immer laufen lassen können. Diesmal jedoch nicht. Nie zuvor habe ich von einer Stunde auf die andere eine Autobahnbrücke komplett sperren müssen, wie es in Lüdenscheid jetzt notwendig war. Anders als bei der A 1-Brücke in Leverkusen und der A 40-Brücke in Duisburg, wo wir noch verkehrsregelnde Schranken- und Wiegeanlage einbauen konnten, war in Lüdenscheid Gefahr in Verzug. Das Schadensbild ist dort ein ganz anderes, die Bleche sind unwiederbringlich verformt. In Leverkusen konnte man noch Verstärkungen anschweißen. Das kann man im Fall Rahmede nicht.

Wie konnte es soweit kommen?

Beim Bau der Brücke 1968 wurden eine maximale Belastung von 25.000 Fahrzeugen am Tag und gelegentlicher Lkw-Verkehr auf der rechten Spur prognostiziert. Normal sind heute 70.000 Fahrzeuge und Lkws Stoßstange an Stoßstange. Hinzu kommen Schwertransporte. Dafür sind diese alten Brücken einfach nicht geschaffen. Zudem wurde früher sparsamer gebaut.

Was meinen Sie damit?

Um Geld zu sparen, hat man damals Blechdicken abhängig vom Kräfteverlauf reduziert. Sogar die Stahlgüte wurde angepasst. Heute sind die Anforderungen um ein Vielfaches höher.

Was bedeutet das für den Rest der Sauerlandlinie?

An der A 45 gibt es allein 60 Talbrücken in unserer Zuständigkeit plus weiterer kleiner Brücken dazwischen. Alle müssen ersetzt werden. Das sollte ursprünglich bis 2035 geschehen.

Ist das noch zu schaffen?

Ausbau und Sanierung dieser zentralen Nord-Süd-Trasse mitten in Deutschland dürfen nicht in Verzug geraten. Wir schauen uns die Brücken jetzt noch genauer an und überlegen, ob wir umpriorisieren und den Brückenneubau vor den sechsstreifigen Ausbau ziehen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir beim Baustellenmanagement nicht an Grenzen stoßen. Man kann nicht alle Brücken gleichzeitig bauen, dann gibt es für den Verkehr kein Durchkommen mehr. Einen zweiten Fall Rahmede schließe ich im Moment übrigens aus.

Hilft es wenigstens, dass die A 45 derzeit praktisch abgenabelt ist vom Autobahnnetz?

Wir haben durch die Sperrung bei Lüdenscheid insgesamt 60 Prozent weniger Verkehr auf der A 45. Das entlastet natürlich die anderen Bauwerke auf der Strecke. Aber der Verkehr ist ja nicht weg, andere Fernstraßen werden stärker belastet. Der Verkehr auf der A1, der A 3 und der A44 hat seit der Sperrung messbar zugenommen, allerdings nicht in dem Maße, wie die A 45 entlastet wird. Die Verkehre verteilen sich offenbar weiträumig.

Sie haben es bereits mehrfach gesagt: Es braucht fünf Jahre, bis die neue Rahmede-Brücke steht. Kann es nicht doch noch schneller gehen?

Ich gehe von den fünf Jahren nicht runter. Wir haben Recht und Gesetz. Der Verweis auf die Brücke in Genua, die nur zwei Jahre nach dem tragischen Einsturz des Vorgängerbauwerks fertig wurde, hilft uns nicht weiter. Dort gab es eine Art Notstandsgesetz. Der Bürgermeister der Stadt hatte umfassende Rechte und musste auf keine Fledermaus Rücksicht nehmen. Es hilft nicht, wenn wir etwas nicht beachten und anschließend kommt es zu einem Baustopp.

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND besteht auf einer Umweltprüfung für den Ersatzneubau und droht mit Klagen. Was sagen Sie dazu?

Wir prüfen bereits umfangreich die betroffene Umwelt. Wenn wir noch eine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung machen müssen, wird es deutlich länger dauern als fünf Jahre. Denn dann kommen wir in den Bereich der Planfeststellung inklusive Offenlage, Einspruchsfristen, Erörterungsterminen und möglichen Klagen. Ich hoffe, dass dieser Kelch an unser vorübergeht.

Was fordern Sie?

Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung sind für die Autobahnsanierung das A und O. Politische Entscheidungen, die in diese Richtung weisen, kann ich nur begrüßen. Die Bürokratie im Straßenbau hat in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen. Früher füllten Planfeststellungen eine dünne Mappe, heute braucht man mehrere Aktenordner. Bei Ersatzneubauten einer Brücke sollte es nach meiner Ansicht zudem keine formelle Umweltverträglichkeitsprüfung mehr geben. Denn wir errichten ja an derselben Stelle wieder eine fast baugleiche Brücke. Wenn wir unsere Probleme im Fernstraßenbau in den Griff bekommen wollen, muss diese Vorgehensweise bei Ersatzneubauten zur Regel werden.

Seit Anfang 2021 ist die Autobahn GmbH des Bundes und nicht mehr der Landesbetrieb Straßen.NRW zuständig für die Fernstraßen im Land. Das Netz der Niederlassung Westfalen reicht von Gießen bis kurz vor Oldenburg. Zugleich ist das Autobahn-Management im größten Bundesland wieder zweigeteilt, weil es noch eine Niederlassung für den rheinischen Landesteil gibt. Was hat sich verbessert?

Wir sind bundesweit zehn Niederlassungen, die sich ausschließlich auf Autobahnen konzentrieren können. Bau, Betrieb und Sanierung von Autobahnen sind überall gleich – ob in Bayern oder NRW. Das ist der Vorteil der GmbH. Früher gab es durch das Ländersystem 16 Lösungen für die Probleme im Fernstraßenbau. Jetzt kann man sich die beste aussuchen.

Die Grenze zwischen den Niederlassungen Rheinland und Westfalen geht mitten durchs Ruhrgebiet. Ist das nicht ein Nachteil?

Der Schnitt durchs Ruhrgebiet ist vielleicht nicht die glücklichste Lösung, bei Autobahnen ist das aber nicht so gravierend. Mit Straßen.NRW hatten wir das ganze Land im Blick. Aber es war ein sehr kleinteiliges Geschäft, eine Art Gemischtwarenladen aus Radwegen, Bushaltestellen, Verkehrsinseln, Land- und Fernstraßen. Jetzt ist es halt nur die Autobahn. Das ist gut. Aber natürlich darf man den Blick auf übergreifende Verkehre nicht aus dem Auge verlieren.

Seit Jahren klagt die Baubranche über einen Mangel an Ingenieuren und Planern. Hat sich die Situation inzwischen gebessert?

Leider nein. Wir suchen noch immer händeringend nach Fachkräften. Allein in unserer Niederlassung sind noch 200 Stellen unbesetzt. Doch der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Obwohl wird gute Arbeitsbedingungen und attraktive Löhne bieten können und auch auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achten, ist es schwer, geeignetes Personal zu finden. Hinzu kommt: Das Gros unserer Belegschaft ist über 50. Jetzt rächt es sich, dass im öffentlichen Straßenbau jahrelange Personal abgebaut wurde.