Essen/Jülich. „Jupsi“ ist Millionen Mal schneller als der beste Superrechner. NRW-Ministerpräsident Wüst gibt in Jülich Startschuss für neuen Quantencomputer.

Es ist eine technische Revolution: Quantencomputer – Millionen Mal schneller als der beste Superrechner. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik erwarten Erkenntnissprünge und Lösungen für zahlreiche Probleme und praktische Anwendungen - von der Verkehrssteuerung bis zur Hirnforschung. Manche Physiker hoffen sogar, mit seiner Hilfe die Weltformel zu finden.

Mit einem Druck auf einen dicken roten Knopf gab Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Montag den Startschuss für den einzigartigen Quantencomputer am Forschungszentrum Jülich (FZJ). Virtuell wurde er dabei unterstützt von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sowie von Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für Forschung und Innovation, die eigens nach Jülich gereist war.

Wüst hatte zuvor das rheinische Revier als „Heimat der Zukunft“ beschworen und die Chancen der neuen Technologie für NRW, Deutschland und Europa hell ausgeleuchtet. Die Technologie „stößt das Tor zu einer ganzen Welt neuer Anwendungen auf“. Der Ministerpräsident kündigte an, die Vorreiterstellung Jülichs weiter auszubauen und in NRW ein „Kompetenz-Zentrum für Quanten-Computing“ einzurichten.

Ein Quantenrechner namens Jupsi

Auf den Namen „Jupsi“ (Juelich Pioneer for Spin Interference) tauften die Forscher ihre neue Maschine. Jülich ist damit der erste Standort in Europa mit einem System der neuesten Generation der kanadischen Firma D-Wave, einem sogenannten Quanten-Annealer mit sagenhaften 5000 Qubits.

Und zugleich durfte Wüst eine Weltneuheit in Gang setzen: als erster Quantencomputer auf dem Globus wird nach Aussage des Forschungszentrums das D-Wave-System an einen konventionellen Superrechner angeschlossen. Der neue Quantenrechner wird damit Teil der Jülicher Superrechner-Systems „Juniq“, auf das Forschende in Deutschland und Europa Zugriff haben. Erst diese Kombination der Systeme ermögliche nach Ansicht von Experten den Einsatz für zahllose künftige Anwendungen.

Wofür braucht man das?

Mit Milliardensummen unterstützt die Bundesregierung diese „Schlüsseltechnologie der Zukunft“. „Quantentechnologien können für einen großen Sprung nach vorne sorgen“, sagte Forschungsministerin Stark-Watzinger. Ziel sei es, in diesem Bereich eine weltweit führende Rolle einzunehmen und technologisch unabhängig zu werden.

Auch interessant

Was die Leistungsfähigkeit angeht, verhält ich ein Quantencomputer im Vergleich zu einem herkömmlichen Rechner ungefähr wie ein Düsenjet zum Zeppelin. Sie sollen Probleme lösen, an denen selbst Supercomputer scheitern. Sie sollen Klimamodelle und Wettervorhersagen erstellen, Hirnforschung, Astrophysik, Wettervorhersagen und Natursimulationen revolutionieren.

Sie könnten komplizierte Logistikketten optimieren oder Milliarden Zahlungsströme in Echtzeit steuern. Sie werden die Wirkung bestimmter Moleküle für neue Medikamente und chemischen Produkte vorhersagen und neue Materialien designen. Routenplanung, Fabrikationssteuerung oder Verschlüsselung der Kommunikation – für zahllose Anwendungen erhoffen sich Industrie und Wissenschaft Lösungen. Manche Physiker hoffen sogar, mit Quantencomputern sämtliche Prozesse der Natur simulieren zu können inklusive der Entstehung des Universums und des Lebens - und so der Weltformel auf die Spur zu kommen. Zwar ist das ein Blick in die Sterne, sicher aber ist: Quantencomputer werden unsere Welt verändern – in Wissenschaft, Industrie, Wirtschaft und Alltag.

Wie funktioniert das?

Die rätselhafte Welt der Quanten hat die Physik selbst noch nicht ganz durchschaut. Ein Quantencomputer speichert Informationen nicht in Form von Bits, die nur zwei mögliche Zustände annehmen können, nämlich Null und Eins. Die Systeme verwenden stattdessen sogenannte Qubits als Informationseinheiten. Diese können gleichzeitig in beiden Zuständen sein, also Eins und Null – oder auch theoretisch in unendlich vielen Zuständen dazwischen.

Auch interessant

Man kann sich das am Beispiel einer Münze verdeutlichen. Bei einem klassischen Bit liegt entweder Kopf oder Zahl oben. Ein Qubit dagegen wäre eine in die Luft geworfene und schnell rotierende Münze – man kann nicht sagen, ob Kopf oder Zahl oben ist, sie ist in beiden Zuständen zugleich. Und das macht den Quantencomputer deutlich effizienter.

Klingt verrückt – und ist es auch. Was die Sache noch komplizierter macht: Qubits sind extrem empfindlich. Jede kleinste Störung lässt sie zerfallen. Da sie so instabil sind, müssen sie extrem gekühlt und gegen sämtliche äußeren Einflüsse abgeschirmt werden. Daher wurde in Jülich für den Betrieb der Rechner eigens ein neues Gebäude errichtet, dessen Fundament auf speziellen Schwingungsdämpfern liegt. Hier soll neben dem D-Wave-Stystem Ende des Jahres ein zweiter Quantencomputer des französischen Herstellers Pasqal einziehen.

Kann man das kaufen?

Noch werde es Jahre dauern, bis die Technologie ausgereift ist, räumen die Jülicher Experten ein. Und so lange Quantencomputer aufwendig bis in die Nähe des absoluten Nullpunkts gekühlt werden müssen, dürfte eine breite Anwendung der Systeme vorerst Utopie bleiben. Beim Startschuss von „Jupsi“ in Jülich waren sich die Anwesend aber einig: „Wir befinden uns am Vorabend einer Quantenrevolution.“

>>>> Was ist ein Quant?

Als Quant wird in der Physik der kleinstmögliche und unteilbare Baustein der Natur beschrieben – wie ein Pixel in digitalen Fotos. Das kann ein Lichtteilchen sein, ein Photon ohne Masse. Oder Materie, also ein Elementarteilchen.

Angelehnt an Bits wird dieses Quant als Qubit bezeichnet und ist die Grundrecheneinheit in Quantencomputern. Schon in den 1980er-Jahren haben Physiker überlegt, ob man die seltsamen Gesetze der Quantenwelt für neuartige Computer nutzen könnte.