Düsseldorf. Der Laschet-Vertraute war lange gefühlter Kanzleramtsminister. Jetzt wollte er selbst Politiker werden - und scheiterte in der Provinz.

Eigentlich müsste Nathanael Liminski über den Beschlusspapieren für die Ministerpräsidenten-Konferenz am nächsten Morgen sitzen. Der nordrhein-westfälische Staatskanzleichef gehört zu den wichtigsten Akteuren im nationalen Kampf gegen Corona. Was die Regierungschefs von Bund und Ländern verkünden, hat er zuvor ausgehandelt und aufgeschrieben.

Doch Liminski steht an diesem Mittwochabend um kurz vor halb acht im Siegburger „Rhein-Sieg-Forum“ auf einer Bühne, die von sieben Balkonkästen mit pinken und roten Alpenveilchen eingerahmt wird. Einige begrüßen ihn mit „Momo“, seinem Spitznamen aus Kindheitstagen. Liminski will Landtagskandidat für den neuen Wahlkreis 29 werden, mit Zuständigkeit für Sankt Augustin, Siegburg und Lohmar. Es wird ein Abend, an dem man einen Überflieger abstürzen sieht. Ein Lehrstück darüber, wie Personalauswahl in der Politik funktioniert, welche Kehren Karrieren nehmen können und wie flüchtig am Ende Macht ist.

Der Schattenmann wollte erstmals ans Licht

Der immer noch erst 36-jährige Liminski galt lange als Wunderkind der deutschen Politik. Einser-Abitur, Studium an der Pariser Sorbonne, junger Redenschreiber beim früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, gefördert vom Langzeit-Minister Thomas de Maiziere, thesenstarker Chefredakteur der Mitgliederzeitung der Jungen Union. Seit 2014 war Liminski der mächtigste Mann hinter Ex-Ministerpräsident Armin Laschet, manche sagen: der heimliche Chef.

Im Sommer schien der „Laschet-Flüsterer“ bereits gefühlter Kanzleramtsminister zu sein. Der jähe Absturz des Unions-Kandidaten hat auch Liminskis Pläne durchkreuzt. Laschets Nachfolger im Ministerpräsidenten-Amt, Hendrik Wüst, beließ ihn zwar als Staatssekretär an der Spitze der Regierungszentrale. Doch ob die CDU in NRW nach der Landtagswahl im Mai weiter die Regierung anführt, erscheint zurzeit mehr als fraglich.

Liminski entschied, erstmals selbst für ein politisches Mandat anzutreten. Der Politik-Organisator will Politiker werden. Ohne Laschet braucht er eine eigene Machtbasis. Den Schattenmann drängt es ans Licht. Der neue, noch unbesetzte und wohl ziemlich „sichere“ Landtagswahlkreis im Rhein-Sieg-Kreis kommt da wie gerufen. In Sankt Augustin steht Liminskis Elternhaus, hier ist er zur Schule gegangen.

Es wie DFB-Pokal: Profi gegen Provinz

Schnell wird am Mittwochabend aber deutlich, dass man hier nicht auf die Rückkehr des längst in Düsseldorf lebenden Jungstars gewartet hat. Obwohl er eine ziemlich perfekt komponierte Bewerbungsrede hält, wirkt der Saal reserviert. „Einige werden wahrscheinlich denken, dieser Liminski, der ist schon lange keiner mehr von hier. Und ja, das stimmt“, sagt Liminski. Doch er wisse halt, wie man in der Politik etwas bewegen könne und wolle im lokalen Wahlkampf „für Rückenwind mit Prominenz aus Düsseldorf und Berlin“ sorgen.

Liminski, der seit Jahren kaum Interviews gegeben hat, wird auf einmal leutselig wie selten. Er erwähnt seine „kurze Fußball-Karriere“ beim VfR Hangelar. Die Kinderklinik Sankt Augustin liege ihm schon deshalb am Herzen, weil er dort als Vierjähriger nach einem Leistenbruch die einzige Operation seines Lebens durchgestanden habe.

Es nützt alles nichts. Der Stratege Liminski scheitert. In der Stichwahl (71:78) unterliegt er am Ende dem 43-jährigen Lokalpolitiker Sascha Lienesch, der mit geröteten Wangen, Mecki-Haarschnitt und in einem zu großen Anzug am Rednerpult steht.  „Ich gebe zu, ich bin aufgeregt. Das ging mir schon den ganzen Tag so“, bekennt Lienesch. Sein Vater begleitet ihn „an meinem wichtigen Tag heute“. Lienesch ist seit 23 Jahren in der Kommunalpolitik und seit 29 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr Sankt Augustin.

Frage nach Homosexuellen-Zitat

Liminski hat die Welt gesehen und kennt die Kanzlerin, Lienesch war mit der Tochter eines Parteifreundes auf der Höheren Handelsschule in Siegburg. Schöne Grüße auch. Es hat etwas von DFB-Pokal: Profi gegen Provinz. Lienesch überzeugt die Mitglieder wohl mit dem Satz: „Ich bin einer von Ihnen, ich bin von der Basis.“ Ein Kandidat für den Landtag müsse über den Lärm von Glascontainern und die Absenkung von Bordsteinen Bescheid wissen.

Die kulturelle Kluft wirkt gewaltig. Liminski ist mit neun Geschwistern in der Familie des kürzlich verstorbenen konservativen Publizisten Jürgen Liminski aufgewachsen. Der war Mitglied im erzkatholischen Bund „Opus Die“. „Ich bin katholisch, das reicht mir“, sagt Nathanael Liminski, der selbst vier Kinder hat und im Bundestagswahlkampf von der SPD als „erzkatholischer Laschet-Vertrauter“ diffamiert wurde.

Es wird ihm aus dem Publikum ein abschätziger Satz über Homosexuelle unter die Nase gerieben, den er vor 15 Jahren einmal als Mitglied der papsttreuen „Generation Benedikt“ dem „Spiegel“ gesagt hatte. „Damals war nicht Profi genug, darauf zu achten, den Spiegel sofort zu verklagen für dieses verkürzte Zitat“, wehrt sich Liminski. Jetzt ist er zweifellos Profi. Vielleicht zu sehr.