Essen. Busse und Bahnen gehören zu den großen Corona-Verlierern. Verkehrsexpertin Claudia Nobis erläutert, warum das nicht gut ist.
Die Pandemie verändert unser Verhalten. In kaum einem anderen Lebensbereich hat das so gravierende Auswirkungen wie im Verkehr. Schon gilt das Auto als heimlicher Gewinner der Krise, öffentliche Verkehrsmittel dagegen als Verlierer. Im Institut für Verkehrsforschung, das zum renommierten Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehört, beschäftigt man sich mit dem Wandel der Mobilität seit Beginn der Pandemie. Mit DLR-Verkehrsexpertin Claudia Nobis sprachen wir darüber, wie tiefgreifend Corona das Verkehrsgeschehen bereits beeinflusst hat.
Corona hat das Mobilitätsverhalten der Menschen grundlegend geändert. Was konnten Sie beobachten?
Claudia Nobis: Die meisten Menschen haben ihr Verkehrsverhalten in der Krise nicht grundsätzlich geändert, sondern variiert. Sie haben in der Regel nicht damit begonnen, neue Verkehrsmittel in ihren Alltag einzubauen. Wer also schon vor der Pandemie ausschließlich mit Bussen und Bahnen unterwegs war, ist nicht aufs Auto ausgewichen, sondern entweder den Öffentlichen treu geblieben oder zum Beispiel erstmal viel zu Fuß unterwegs gewesen. Aber diejenigen, die schon immer mal das Auto, mal Busse und Bahnen genommen haben, sind sehr stark aufs Auto umgestiegen.
Wie hat sich das ausgewirkt?
Der Anteil derjenigen Verkehrsteilnehmer, die ausschließlich mit dem Auto unterwegs sind, schnellte in den ersten Monaten der Pandemie von 50 Prozent auf 66 Prozent hoch. Im Sommer ging er wieder auf 55 Prozent zurück. Auch das Fahrrad erlebte einen Boom, den man freilich nicht überschätzen sollte. Die Radnutzung ist auch abhängig von der Jahreszeit. Besonders in den großen Städten ist das Rad aber infolge der Pandemie stärker in den Fokus gerückt, wie man an den vielen neuen Pop-up-Radwegen in den Städten sehen kann.
Das Auto ist also der Gewinner der Krise?
Die individuell nutzbaren Verkehrsmittel haben enorm an Bedeutung gewonnen. Das Vertrauen in öffentliche Verkehrsmittel ist stark gesunken. Sie sind die großen Verlierer der Pandemie. Der ÖPNV ist bis heute auf dem niedrigeren Niveau des Sommers 2020 geblieben.
Warum ist das so?
Unsere Befragungen haben gezeigt: Egal ob Busse, Bahnen, Car-Sharing oder Flugzeuge – die Menschen fühlen sich seit Corona in allen öffentlichen Verkehrsmitteln unwohl. Viele beschreiben es zum Beispiel als großes Problem, dass die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen zu wenig befolgt und nicht genug kontrolliert wird.
Muss man sich Sorgen machen um den ÖPNV?
Mobilität ist sehr stark von Routinen geprägt. Wäre die Pandemie im Herbst/Winter 2020 vorbei gewesen, hätte sich das Mobilitätsverhalten wahrscheinlich wieder auf den Stand vor Corona eingependelt, das Danach wäre das Davor gewesen. Jetzt aber hat sich der Trend verfestigt. Wenn man sich über Monate unwohl fühlt in einem Verkehrsmittel, prägt sich das ein.
Was bedeutet das konkret?
Im vergangenen Jahr hat der Nahverkehr in erster Linie Gelegenheitsfahrer verloren. Der Verkauf von Einzeltickets ging stark zurück, Dauerkartenbesitzer hielten dem ÖPNV die Treue. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Nun wenden sich auch immer mehr regelmäßige ÖPNV-Nutzer ab. Nach unseren Erkenntnissen haben inzwischen 15 Prozent der Vielfahrer aus der Vor-Corona-Zeit ihr Abo abgeschafft.
Für die oft zitierte Verkehrswende ist die Entwicklung sicher ein Rückschlag?
Ja. Mit einem geschwächten ÖPNV werden wir es nicht schaffen, den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen und die Klimaziele zu erreichen. Inzwischen gibt es in Deutschland 48 Millionen Autos, die komplette Bevölkerung passt auf die Vordersitze. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Jahr für Jahr kommen 500.000 Fahrzeuge zusätzlich auf die Straße. Selbst in Städten wie etwa Freiburg, die als besonders fahrradfreundlich gelten und einen gut ausgebauten ÖPNV haben, nimmt der Kraftfahrzeugbestand zu.
Woran liegt das?
Es ist nicht so, dass die Menschen verschlossen sind gegenüber neuen Sichtweisen. Sie ändern ihre Einstellung, aber eben nicht zwangsläufig auch ihr Verhalten.
Wird die neue 3G-Regel den ÖPNV noch weiter zurückwerfen?
Wie sich die neue 3G-Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln auswirkt, muss man abwarten. Die strengeren Regeln müssen nicht zwangsläufig dazu führen, dass noch mehr Kunden abspringen. Wenn man weiß, dass nur noch Geimpfte, Genesenen und Getestete in Züge und Busse dürfen, kann das auch Vertrauen zurückbringen. Es kommt dabei sehr darauf an, wie gut die neuen Maßnahmen kontrolliert werden.