Düsseldorf. Der neue Ministerpräsident hat seine erste Regierungserklärung abgegeben. Was er sagte, wie er wirkte - eine Kritik in Schlaglichtern.

Eine Woche nach der Wahl ins Amt hat der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Landtag seine erste Regierungserklärung abgegeben. Was der 46-jährige Laschet-Nachfolger sagte, wie er wirkte, wohin er will – eine Kritik in Schlaglichtern.

Motto: „Wir haben alle Chancen.“ Wüst wählte eine vertraute Politik-Floskel als Leitmotiv seiner Regierungserklärung - auch wenn noch nie abschließend geklärt werden konnte, wie hoch die Gesamtzahl an Chancen für Regierungen überhaupt ist. Der gewünschte Effekt jedenfalls: „Yes, we can“ auf Westfälisch.

Rededauer: 50 Minuten

Dramaturgischer Bogen: Wüst hakte sich rhetorisch bei fünf namentlich genannten Menschen aus Nordrhein-Westfalen unter (Sportlerin, Maurer, Migrantin, Nobelpreisträger, Biolandwirt), die Vielfalt und Gemeinsinn des Landes repräsentieren sollen. Für sie und mit ihnen wolle er Politik machen, lade aber auch alle weiteren 18 Millionen Einwohner ein: „Lassen Sie uns gemeinsam durchstarten.“

Unterhaltungswert: Regierungserklärungen sind gemeinhin ein eher graues Gemälde aus Spiegelstrichen. Jeder Minister soll erwähnt, jedes Projekt gelobt werden. Auch Wüst hielt sich an Schema F solcher Reden: 1. Aufbruchrhetorik („Das Schlimmste ist, nichts zu tun“). 2. Landeshistorie plus Gemeinschaftsappelle („Ein Land, auf das wir stolz sein können“). 3. Bilanz-Prosa (Handgestoppte 25 Minuten Erfolgszahlen aus allen Ressorts). 4. Ausblick (Ankündigung von wenigen konkreten Gesetzen/Initiativen). 5. Motivierende Kabinenpredigt für das Team NRW („Deshalb zähle ich auf Jede und Jeden“; „In diesem Geist können wir alles schaffen“).

Früherer Kohleausstieg als Nachricht des Tages

Wichtigste Nachricht: Wüst rückt anders als sein Vorgänger Armin Laschet von dem vor zwei Jahren überparteilich ausgehandelten Kohlekompromiss mit dem Ausstiegsdatum 2038 ab. Wörtlich: „Für mich ist klar: Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ausstieg aus der Kohle auch schon 2030 bereit und wollen alles dafür tun, dass uns das gelingt.“ Zudem wolle er am Rande des rheinischen Braunkohlegebietes „so viele Dörfer wie möglich erhalten“, sagte Wüst.

Konkrete Ankündigungen: 370.000 Schüler aus schwierigen sozialen Lagen sollen in einem „zweiten Sofortausstattungsprogramm“ digitale Endgeräte bekommen. Bis Mai soll ein neues Kinderschutzgesetz die staatlichen Aufgaben in diesem sensiblen Bereich neu regeln. Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer für den Kauf der ersten Immobilien sollen eingeführt werden, sobald die neue Ampel-Bundesregierung die rechtlichen Möglichkeiten hierfür schafft.

Wüst bleibt streng am Redemanuskript

Bundesliga-Format: Wüst hielt als neuer Ministerpräsident erwartungsgemäß eine streng landespolitische Rede. Berlin kam nur vor, wenn es um Forderungen an den Bund etwa bei der Energiewende ging. Einzige Ausnahme: Wüst suchte seine Rolle als Corona-Manger und will in der Funktion des derzeitigen Vorsitzenden der Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) schnell das Vorgehen von Bund und Ländern angesichts der bedrohlichen Infektionslage abstimmen - auch wenn die MPK-Lust in anderen Landeshauptstädten nicht allzu groß wirkt.

Outfit: Klassisch. Wüst trug dunkelblauen Anzug zu schwarzen Schnürschuhen, weißes Hemd, rote Krawatte mit blauen Punkten zum doppelten Windsor.

Rhetorik: Wüst blieb streng am Redemanuskript und schlug einen durchweg ruhigen, sachlichen Geschäftsbericht-Ton an. Durch seine Angewohnheit, zum Satzende die Stimme zu heben, lief er gelegentlich Gefahr, wie ein Navigationsgerät zu klingen.

Gestik: Wüst ist mehr souveräner Regierungs-Notar als feuriger Debattenredner. Bügelt mit den Handflächen immerzu beruhigend die Längsseiten des Manuskript-Stapels.

Sozialer, klimafreundlicher, Corona-vorsichtiger

Gesamteindruck: Wüst gab sich sozialer, klimafreundlicher und Corona-vorsichtiger, als man es bei einem eher konservativen Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels vermutet hätte.

Schärfste Kritik: SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty warf Wüst vor, nur noch „Abwickler“ der Regierung Laschet bis zur Landtagswahl im Mai zu sein. Er konfrontierte den neuen Ministerpräsidenten mit früheren Aussagen, um ihn als Sozialschauspieler zu entlarven: „Sie versuchen sich als jemand auszugeben, der Sie nicht sind.“ Wüst sei kein zweiter Karl Arnold oder Franz Meyers. Die beiden früheren CDU-Ministerpräsidenten haben NRW mit Sozial- und Bildungsreformen geprägt. Wüst benutze bloß eine „weichgespülte Sprache, die direkt aus der chemischen Reinigung der PR-Beratung zu kommen scheint“, ätzte Kutschaty.