Düsseldorf. Der Sportpsychologe Ulrich Kuhl, der seit Jahrzehnten Spitzenathleten und Manager betreut, über das Drama des Unions-Kanzlerkandidaten.

Der Essener Sportpsychologe und Unternehmensberater Dr. Ulrich Kuhl betreut seit Jahrzehnten Spitzenathleten und Manager in Drucksituationen oder an Karriere-Gabelungen. Er weiß, was Macht und Misserfolg mit Menschen anstellen. Tobias Blasius sprach mit ihm über die vertrackte Lage von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

Laschet will seinen SPD-Konkurrenten Scholz nicht als „Hauptwahlsieger“ anerkennen, obwohl die Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen. Ist eine solche Realitätsverweigerung normal?

Ich habe es häufiger erlebt, dass Sportler in der ersten Verärgerung in der Kabine verschwinden. Gerade, wenn der Wettkampf als unfair empfunden wurde und es grobe Fouls gegeben hat. Spätestens nach einer halben Stunde, wenn der Dampf runter ist, wird aber immer dem Sieger gratuliert. Das ist eine Frage der Sportlerehre. Übertragen auf die Politik glaube ich, dass jemand dringend Laschet hätte klarmachen müssen: Du hast nicht gewonnen, das müssen wir anerkennen – unabhängig von der offenen Koalitionsfrage.

Laschet ist eigentlich ein freundlicher und empathischer Mensch, wird aber aktuell als schlechter Verlierer mit Hang zur aggressiven Rechthaberei wahrgenommen. In welchen Momenten drohen Sportler und Top-Manager ihren Wesenskern zu verlieren?

Menschen, die vor aller Augen in Überforderungssituationen geraten, können sich daraus unheimlich schwer befreien. Gerade die Harmoniebedürftigen, die Zugewandten keilen dann heftig aus, um Härte und Stärke zu zeigen. Das befremdet dann umso mehr.

Als Laschet zum CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten aufstieg, orakelte die „Süddeutsche Zeitung“ bereits, hier schlage womöglich das „Peter-Prinzip“ zu. Was ist das eigentlich genau?

Das Peter-Prinzip besagt, dass jemand bislang einen sehr guten Job gemacht hat und dann bis zur Stufe seiner Überforderung befördert wird. Das findet man in der Wirtschaft dann, wenn bei Karriereleitern die unterschiedlichen Job-Profile und das Potenzial des Kandidaten nicht richtig analysiert werden. Im Fall Laschets würde ich sagen: Der CDU-Vorsitz passte zu seinen integrativen, moderierenden Talenten. Jemand der Kanzler werden will, muss von seiner Führungsstärke, Kommunikations- und Argumentationsfähigkeit, aber auch von seiner Handlungsfähigkeit in kritischen Situationen überzeugen können. Daran hat es bei Armin Laschet gefehlt.

Mit Laschets Beförderung zum Kanzlerkandidaten wollten die CDU-Granden vor allem CSU-Chef Söder ausbremsen. Werden so auch in der Wirtschaft Karrieren gemacht?

Es gibt in Beförderungsverfahren kompetenzgeleitete und interessengeleitete Entscheidungen. Nicht immer hievt man jemanden in eine Position, weil man ihn für den Besten hält, sondern weil es andere Erwägungen gibt. Ein Mitbewerber soll verhindert werden, es gibt persönliche Loyalitäten oder Karriere-Trittbrettfahrer. Laschet wurde stark interessengeleitet zum Kanzlerkandidaten der Union befördert, weil sich die große CDU nicht vom CSU-Chef Söder fernsteuern lassen wollte.

Also trifft mächtige Laschet-Unterstützer wie Wolfgang Schäuble eine Mitschuld am Wahldebakel?

Auf jeden Fall. Generell finde es schlimm, wenn nach Fehlentscheidungen in Beförderungsverfahren sich die Entscheider hinstellen und sagen: Tja, der hat es nicht gepackt und seine Chance nicht genutzt. Man darf einem Kandidaten, den man selbst in Position gebracht hat, nicht auch noch die alleinige Verantwortung für das Scheitern aufbürden.

Als die frühere SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sagte, sie sei nicht für Berlin gemacht, sprachen alle von „Selbstverzwergung“. Ist die Aufstiegslogik der Politik ein Problem?

Die realistische Selbsteinschätzung ist in einem System, das auf permanenten Machtzuwachs angelegt ist, ein großes Problem. Es wird schnell als Schwäche ausgelegt, wenn jemand mit sich und seiner Position zufrieden ist. In der Politik gibt es zudem viele Einflüsterer, die natürlich dem Ego schmeicheln. Mein Rat an Personalchefs in Unternehmen ist, dass sie nicht drängeln sollen, wenn ein erfolgreicher Bereichsleiter aus eigenem Antrieb nicht unbedingt den sogenannten nächsten Schritt machen möchte.

Politiker, Profisportler und Manager widmen ihr gesamtes Leben dem Beruf und ziehen oft ihr Selbstwertgefühl aus ihrer exponierten Position. Wie hart ist es, wenn plötzlich alles zusammenbricht?

Das ist brutal und tut ungeheuer weh. Es dauert eine Weile, bis man einen Absturz in aller Öffentlichkeit verpackt. Da ist es enorm wichtig, wie wertschätzend im Unternehmen, im Verein oder in der Partei mit dem Gescheiterten umgegangen wird. Hinter dem Misserfolg muss der Mensch sichtbar bleiben.