Gelsenkirchen. Wie kann das Ruhrgebiet seine großen Verkehrsprobleme lösen? Offenbar nur gemeinsam, wie eine Konferenz in Gelsenkirchen zeigte.
Mobilität – das ist das große Sorgenkind im Ruhrgebiet. Regionalverband Ruhr (RVR) und Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) drücken seit Kurzem erstmals gemeinsam aufs Tempo, um dem Verkehr in der Region Beine zu machen. In Gelsenkirchen diskutierten jetzt rund 300 Fachleute auf Einladung beider Verbände über Wege aus der Misere. Ein Überblick.
ÖPNV
Um dem zersplitterten Nahverkehrssystem im Ruhrgebiet entgegenzuwirken und absurde Fahrplanbrüche an Stadtgrenzen künftig zu vermeiden, wollen Regionalverband und VRR die kommunalen Nahverkehrspläne der Ruhrgebietsstädte auf Dauer synchronisieren. Die Revier-Oberbürgermeister hatten das bereits im vergangenen Jahr zur Chefsache erklärt. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) sagte jetzt in Gelsenkirchen, der ÖPNV im Ruhrgebiet sei derzeit nicht „metropolengerecht“. Er warnte aber auch vor überzogenen Erwartungen. Das Revier habe es auf diesem Feld deutlich schwerer als Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin mit anderen Steuerquellen und Durchsetzungsmöglichkeiten. Gelsenkirchens OB Katrin Welge (SPD) mahnte, Lösungen für die Verkehrsprobleme im Ruhrgebiet gebe es nur gemeinsam. Erste Ergebnisse der Harmonisierung sollen Anfang 2024 für die Fahrgäste spürbar sein.
Radverkehr
Alle Teilnehmer der Konferenz bescheinigten dem Rad eine wachsende Bedeutung als Verkehrsmittel der Zukunft. Doch dem Ruhrgebiet fehlt es an einem lückenlosen Radwegenetz. „Gerade in der Coronazeit haben wir gesehen, wie wichtig den Menschen das Rad ist“, sagte RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel. Das bereits gut ausgebautes Radwegenetz für den Freizeitverkehr im Ruhrgebiet müsse nun mit alltagstauglichen Radwege entlang der Straßen besser verknüpft werden. RVR-Planungsdezernent Stefan Kuczera meldete Erfolge beim „metropolradruhr“. Das Leihradsystem konnte seine Ausleihzahlen seit 2018 auf rund 830.000 im vergangenen Jahr nahezu verdoppeln. Die bisher in zehn Revierkommunen stehenden silber-orangenen Mieträder sollen zudem bald in weiteren Städten der Region angeboten werden.
Ausbau des Schienenverkehrs
Mit dem Programm Schiene 2040 wollen der VRR und die anderen NRW-Verkehrsverbünde Taktverdichtung und Angebotsqualität im regionalen Zugverkehr verbessern. Hintergrund ist die Einführung des Deutschlandtaktes der Bahn. Der bereits auf einigen S-Bahn-Linien geltende 15-Minuten-Takt soll dafür auf weitere Verbindungen ausgedehnt werden. Auf allen Strecken soll mindestens jede halbe Stunde ein Zug fahren. Zudem sollen stillgelegte Strecken reaktiviert und Kommunen ohne Gleisanschluss ans Schienennetz angeschlossen werden. Beispiel dafür ist die Niederrhein-Bahn nach Kamp-Lintfort, die ab 2026 in den Regelbetrieb gehen soll. VRR-Verkehrsplaner Ralf Dammann nannte das Programm einen bedeutenden Schritt in Richtung Metropolenmobilität, sprach aber auch von großen planerischen und finanziellen Hürden, die noch zu überwinden seien.
Problem Autodichte
Für Autofahrer im Ruhrgebiet könnte es künftig ungemütlicher werden, jedenfalls wenn man dem Berliner Verkehrsforscher Weert Canzler folgt. Laut dem Wissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin sind die Klimaziele im Verkehrssektor selbst mit noch so vielen E-Autos nicht zu schaffen. „Wir müssen mit insgesamt weniger Autos auskommen“, sagte Canzler. Die Zahl der Pkw steige in Deutschland kontinuierlich seit 30 Jahren an. Als Maßnahme gegen die hohe Autodichte forderte er unter anderem die Einführung einer City-Maut und die Verteuerung von Parkflächen im öffentlichen Raum. Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW, wies indes daraufhin, dass die Funktionsfähigkeit der Städte gesichert bleiben müsse. „Wenn unsere Handwerker zum Kunden kommen sollen, um dort etwa Mobilitätslösungen umzusetzen, brauchen wir Parkraum.“
Digitalisierung
Das komplizierte Tarifsystem im ÖPNV soll schon bald der Vergangenheit angehören. Dirk Günnewig vom NRW-Verkehrsministerium kündigte an, dass der landesweite E-Tarif für die Nutzung von Bussen und Bahnen bis Ende des Jahres stehen soll. Der neuen "eTarif NRW", für den die Vorbereitungen schon seit vergangenem Jahr laufen, soll mit Hilfe einer Smartphone-App den Tarifdschungel im NRW-Nahverkehr lichten und Übergangstickets zwischen den vier NRW-Verkehrsverbünden überflüssig machen.