Essen. Trotz der erstarkten Grünen und Sozialdemokraten ist die Landtagswahl im Mai 2022 für Politikwissenschaftler Martin Florack ein offenes Rennen.
Innen rot, außen schwarz und einige grünen Flecken ringsherum – so sieht die Karte Nordrhein-Westfalens aus, wenn man sie nach der Bundestagswahl in den Farben der Wahlgewinner einfärbt. Warum die SPD im Kernruhrgebiet so stark abschnitt, die Grünen in den Großstädten teils zweistellig zulegten und die FDP bei den Erstwählern punkten konnte, darüber sprach Christopher Onkelbach mit Martin Florack, Politikwissenschaftler an der NRW School of Governance.
Im Kern-Ruhrgebiet konnte die SPD überall zulegen. Inwieweit prägten die Lebensverhältnisse der Menschen die Wahl?
Martin Florack: Es zeigt sich erneut die klassische Hochburgenbildung im Ruhrgebiet. Der Kern ist rot, die ländlichen Bezirke sind schwarz. In den urbanen Zentren kommen die Grünen hinzu. Sie sind ein Großstadtphänomen, doch auf dem Land konnten sie diesmal ihren gewachsenen Anspruch nicht einlösen.
Wie erklären Sie das Erstarken der Sozialdemokraten?
Die SPD hat vielen Wählen, die bislang unentschlossen waren, wieder ein Angebot gemacht. Gerade bei den älteren Menschen über 60 konnte sie punkten, auf sie ist die Partei zugegangen. Damit hat sie die Wahl gewonnen.
Worin genau bestand dieses Angebot?
Das ist schwer zu erklären. Es ist schon kurios, dass mit Olaf Scholz einerseits der letzte Schröderianer und Verfechter der Agenda 2010 die Wahl gewonnen hat. Die SPD präsentierte sich andererseits als Bewahrerin der sozialen Gerechtigkeit. „Respekt“ als Narrativ war hier wichtiger als konkrete programmatische Angebote. Doch auch die Union hat der SPD geholfen. Die Wechselstimmung, die sich zulasten der CDU breit gemacht hat, war ein wichtiger Wahlkampfhelfer für die SPD.
Scholz hat den Revierkommunen Hilfe bei den Altschulden versprochen. War das ein Argument für Wähler im Ruhrgebiet?
Für informierte Wähler vielleicht. Es weckte das Gefühl, die SPD macht etwas für das Ruhrgebiet, denn die CDU hat zu diesem Thema nichts gesagt. Aber das war sicher kein zentrales Wahlmotiv.
Ist der Höhenflug der AfD im Ruhrgebiet beendet?
Wenn die SPD ihre Wählerschaft mobilisieren kann, verliert die AfD tendenziell. Und das ist am Sonntag passiert. Zudem hat sich der Protest-Impuls bei den AfD-Wählern offenbar abgeschliffen. So kann man dann eher zehn als 15 Prozent erreichen. Hinzu kommt: Je mehr sie eine Partei des Ostens wird und je radikaler sie nach rechts ausfranst, desto weniger wählbar ist sie im Westen.
In Köln, Aachen, Bonn und Münster liegen die Grünen vorn. Wieso gerade dort?
In den großen Uni-Städten mit ihrem urbanen, grün-liberalen Milieus haben sie es leichter. Dort gibt es etablierte Kreisverbände und eine hohe Zahl an Mitgliedern. Die Grünen sind längst im bürgerlichen Lager angekommen und haben viele gesellschaftliche Schnittmengen mit der FDP, bei Fragen der Gleichstellung und unterschiedlichen Lebensentwürfen geben sie sich die Hand.
Geben die Ergebnisse vom Sonntag Hinweise auf die Landtagswahl im Mai 2022?
Die NRW-Landtagswahl wird ein völlig offenes Rennen. Ein wichtiges Motiv vieler Wähler ist es, den Amtsinhaber wiederzuwählen. Das entfällt dieses Mal, denn Laschet tritt nicht mehr an. Bis jetzt ist nicht einmal klar, wer für die CDU antreten wird. Die Landtagswahl im Mai wird insofern stark von der weiteren Entwicklung in Berlin beeinflusst werden.
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Bei den Erstwählern ist die FDP gleichauf mit den Grünen die erfolgreichste Partei. Ist es ein Vorurteil, dass die Mehrheit der Jugend zu den Grünen tendiert?
Die Grünen punkten traditionell bei jungen Wählern. Aber Fridays for Future sind nicht repräsentativ für die ganze Alterskohorte. Ein Aspekt ist womöglich, dass junge Menschen den Wechsel wählen wollten, also keine Regierungspartei. Hier schienen FDP und Grüne das passende Angebot für Veränderung und Aufbruch. Aber ich würde den Effekt nicht überbewerten, weil es sich zahlenmäßig um eine kleine Wählergruppe handelt.