Düsseldorf. Der Kanzlerkandidat bleibt in Berlin - in welcher Funktion auch immer. In Düsseldorf stellen sich nun viele unbequeme Fragen.

Als Armin Laschet um 18.50 Uhr im Garten der CDU-Landeszentrale auf dem Bildschirm erscheint, plätschert müder Applaus durch den Pavillon. Was haben sie hier am schönen Düsseldorfer Schwanenspiegel schon für rauschende Wahlpartys gefeiert. Diesmal wird es ein Abend in arg diffuser Gefühlslage.

Der Ministerpräsident, Noch-Landesparteichef und Kanzlerkandidat wird ja allenthalben gemocht, auch wenn die meisten entsetzt sind über die verkorkste Kampagne der vergangenen Wochen. Dass Laschet selbst im Aachener Wahllokal noch einen Bock schoss und versehentlich seinen ausgefüllten Stimmzettel so gut lesbar in die Kamera hielt, dass eine Verletzung des Wahlgeheimnisses geprüft werden musste – es erscheint manchem fast folgerichtig. Doch Laschet bleibt ja ohnehin in Berlin, das hat er mehrfach versichert, in welcher Funktion auch immer.

In 230 Tagen ist Landtagswahl: Warten auf Personal und Programm

Das schlechteste Unions-Ergebnis der Nachkriegsgeschichte zwingt derweil der NRW-CDU eine Debatte darüber auf, wie man aus Berliner Fehlern lernen kann. Und was das für die Landtagswahl im Mai 2022 heißt. Es sind nur noch 230 Tage. Noch sind weder Spitzenkandidat noch Kampagne zu erkennen.

Wer am Sonntagabend durch den Garten der Parteizentrale streift, erlebt eine seltsame Melange aus Frust und Hoffnung. Die CDU ist brutal abgestürzte wie befürchtet, doch Laschet kann wegen der Aussicht auf Regierungsgespräche zunächst an Bord bleiben. Das diszipliniert auch die Landespartei. Denn längst geht es um Laschets Erbe: Wer wird Ministerpräsident für die restliche Legislaturperiode? Wer soll den größten CDU-Landesverband führen? Und was heißt das für die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl?

Gute Miene zum betrüblichen Spiel: Verkehrsminister und möglicher Laschet-Nachfolger, Hendrik Wüst, am Wahlabend neben seiner potenziellen Rivalin, Heimatministerin Ina Scharrenbach.
Gute Miene zum betrüblichen Spiel: Verkehrsminister und möglicher Laschet-Nachfolger, Hendrik Wüst, am Wahlabend neben seiner potenziellen Rivalin, Heimatministerin Ina Scharrenbach. © Roberto Pfeil/dpa | Unbekannt

Grob gesagt gibt es zwei Lager, die sich kurioserweise am Sonntag bei der sogenannten Wahlparty andauernd über den Weg laufen. Das ist vor allem die mächtige Gruppe jener CDU-Granden, die schnell die Lehren aus dem Abschmieren im Bund ziehen wollen. Dazu gehört vor allem Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen, zugleich Bezirkschef der großen Ruhrgebiets-CDU.

Der Berliner Absturz zeige die Notwendigkeit einer "klaren Aufstellung"

Das Wahlergebnis zeige, dass man sich nicht lange mit Personaldebatten aufhalten dürfe und „eine klare Aufstellung“ brauche, sagt Kufen. Alle Wahlen zeigten, wie wichtig der Amtsbonus sei. Man müsse dem Nachfolger Laschets in der Landespartei und in der Staatskanzlei die Chance geben, sich in den verbleibenden Monaten bis zur Landtagswahl zu profilieren. „Deswegen kann es aus meiner Sicht nur Hendrik Wüst sein“, so Kufen.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (45) ist der einzige seiner Generation mit Regierungserfahrung und Parteiverankerung, der sofort zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Wüst ist Mitglied des Landtags, was die NRW-Verfassung zur Voraussetzung macht.

Als Kufen sich so klipp und klar für Wüst ausspricht, knufft ihm Herbert Reul in die Seite: „Verteil‘ mal noch nicht das Fell des Bären, bevor er erlegt ist.“ Reul ist populärer NRW-Innenminister und als langjähriger Generalsekretär ein profunder Kenner der Landespartei. Er gilt als enger Vertrauter Laschets und Vertreter der liberalen CDU.

Favorit auf die mächtigste Position ist Verkehrsminister Hendrik Wüst

Reul darf man als Gegenspieler Wüsts betrachten, der wiederum den konservativen CDU-Wirtschaftsflügel führt. Allerdings kann der Innenminister selbst nicht sofort Ministerpräsident werden, weil er nicht dem Landtag angehört. Reul hat jedoch aufhorchen lassen mit der Ankündigung, im Mai 2022 für den Landtag zu kandidieren. Nicht auszuschließen, dass der 69-jährige beim Parteitag beim 23. Oktober in Bielefeld nach dem Landesvorsitz greift und auch Spitzenkandidat eines aussichtsreichen Law-and-Order-Wahlkampfes werden will.

Die Legislaturperiode müsste dann etwa ein Vertrauter ohne eigene Ambitionen zu Ende führen, etwa Finanzminister Lutz Lienenkämper. „Besonders schwierige Situationen brauchen reflektierte Antworten, und die gibt man nicht am Wahlabend“, sagt er freundlich, aber knapp. Auffallend ist jedenfalls, dass Reul trotz der nahenden Landtagswahl keine Eile geboten sieht: „Es gibt überhaupt keinen Zeitdruck.“ Einen Automatismus für eine Machtballung bei Wüst kann er offenbar nicht erkennen: „Ich bin dafür, dass die Landespartei sich die Zeit nimmt für eine konsensuale Lösung, mit der wir Wahlen gewinnen.“

Auch die Minister Reul und Scharrenbach pokern noch

Ambitionen werden auch Heimatministerin Ina Scharrenbach nachgesagt. Die 44-Jährige gilt als fleißig und ehrgeizig, scheidet aber wegen des fehlenden Landtagsmandats für die schnelle Laschet-Nachfolge aus. Sie verweist auf ein geordnetes Verfahren, demzufolge erst der Landesvorsitz Ende Oktober geklärt werden solle.

Für Dennis Radtke, den Chef des CDU-Sozialflügels in NRW, steht dagegen fest: „Wir müssen uns schnell sortieren. In 230 Tagen ist Landtagswahl, die wir nur mit einer gut vorbereiteten Kampagne und einer klaren personellen und inhaltlichen Aufstellung gewinnen.“ Das klingt ebenso nach einem Plädoyer für Wüst wie die Einlassung von Günter Krings, einflussreicher Bezirksvorsitzender und Landesgruppenchef im Bundestag: „Ich bin kein Freund von Übergangslösungen.“

Vielleicht schlägt Laschet den Knoten noch durch

Wüst selbst kommt erst gegen 19 Uhr zur Wahlpartei, schlängelt sich grüßend durch die Reihen. Das Ergebnis in Berlin nennt er einen „Weckruf“, besser vorbereitet in die Landtagswahl zu gehen: „Die Menschen erwarten eine klare Aufstellung.“ Dass er sich selbst um Landesvorsitz, Spitzenkandidatur und Ministerpräsidentenamt bewerben möchte, kann man da nur erahnen.

Womöglich muss einer die Lage ordnen, der eigentlich ganz andere Probleme hat. Armin Laschet wird am Montagabend zur Landesvorstandssitzung in einem Düsseldorfer Flughafen-Hotel erwartet.