Düsseldorf/Essen. Städte müssen hochwassertauglich werden, fordern Experten. Bauten, Landschaften und Flussgebiete sollten daher jetzt neu gestaltet werden.

Angesichts der Gefahr, dass viele der von der Flut getroffenen Orte künftig erneut in Hochwassergefahr geraten könnten, entwickelt sich ein Streit über den Sinn des Wiederaufbaus. „Die Flutkatastrophe muss Konsequenzen für den Wiederaufbau haben. Es darf nicht mehr so nah an Gewässern gebaut werden. Das gilt gleichermaßen für Unternehmen“, sagte der CDU-Politiker Friedrich Merz dieser Redaktion.

Die Verantwortung dafür liege laut Merz sowohl bei den Betroffenen als auch beim Staat. Ein wichtiger Indikator sei die Einschätzung der Versicherungen: „Sind Sie überhaupt noch bereit, in bestimmten Gebieten Verträge abzuschließen? Wir werden in kritischen Gebieten zu neuen Risiko-Bewertungen kommen müssen.“

Wirtschaft sieht Gefahr für Arbeitsplätze

Dem widerspricht Ralf Stoffels, Präsident der IHK NRW und der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK), vehement: „Aus Sicht der betroffenen Unternehmen ist es völlig unverständlich, dass jetzt Diskussionen im politischen Raum anlaufen, vom Hochwasser betroffene Gebäude und Unternehmensteile nicht wieder vollständig in Stand zu setzen.“ Viele Unternehmerinnen und Unternehmer stünden vor den Trümmern ihrer Existenz.

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Der SIHK-Bezirk zähle zu den stärksten Automobilzulieferer-Regionen Deutschlands. .„Wenn man jetzt vom Hochwasser betroffene Flächen von der Bebauung bzw. dem Wiederaufbau ausschließt, wird die De-Industrialisierung von NRWs größter Industrieregion mit tausenden von Arbeitsplätzen maßgeblich befeuert“, warnte Stoffels.

Stadt und Land neu denken

Viele sehr alte Städte wie Köln und Bonn wurden nicht zufällig an einem Fluss gegründet. Das Wasser war Transportweg, Lebensader, spendete Sicherheit. Das Bauen an Fließgewässern ist eine Jahrhunderte alte Tradition, stößt aber immer öfter an Grenzen.

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Dietwald Gruehn, Professor für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung an der TU Dortmund, kann erklären, warum man die Planung von Städten und Landschaften neu denken müsste. „Es gibt eine historische Vorbelastung durch Bebauung, die nun durch die Risiken des Klimawandels verstärkt wird“ sagt er. Zu der Tatsache, dass viele Orte in Deutschland an Gewässern gegründet wurden, komme seit etwa 100 Jahren eine extreme Veränderung der Landschaft: „Freiflächen und Moore wurden entwässert, Wälder gerodet, Gewässer begradigt und dadurch der Wasserkreislauf beschleunigt. Und der Klimawandel erhöht die Gefahr durch Überschwemmungen nun deutlich.“

Politik stellt Baupläne auf den Prüfstand

Prof. Gruehn rät dazu, das Problem grundsätzlich anzugehen. „Wir können existierende Städte nicht einfach weg- und umplanen. Aber wir sollten die Landschaften und Flusseinzugsgebiete neu gestalten, ihnen mehr Raum für natürliche Gewässer, Versickerung sowie natürliche Speicher wie Moore und Wald geben“, findet der Raumplaner. Ein Musterbeispiel für gelungene Landschaftsplanung sei der ökologische Umbau der Emscher, mitten im Ruhrgebiet.

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NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) stellt Teilelemente von Kommunen auf den Prüfstand: „Es sind Ortschaften betroffen, die seit Jahrhunderten diese Lage am Wasser haben“, sagte sie dieser Zeitung. „Wir werden uns mit den Städten und Gemeinden insbesondere die Lage der kritischen Infrastruktur - Rathäuser, Feuerwehren, Rettungsdienste, Polizei, Stromversorgung - beim Wiederaufbau ansehen“, so die Ministerin. Hier könne es sinnvoll sein, zu Veränderungen zu kommen. „Das bedeutet aber, dass wir endlich ein schnelleres Planungsrecht über den Bund brauchen.

Betroffene Ortschaften werden anders aussehen

„Es kann durchaus möglich sein, dass in Zukunft in bestimmten Lagen keine Baugebiete mehr neu ausgewiesen werden können, weil eine aktuelle Gefährdungseinschätzung besondere Gefahren feststellt. Es könnten beispielsweise auch mehr Überflutungsflächen gebraucht werden, die nicht bebaut werden dürfen. Die jetzt betroffenen Ortschaften werden dann anders aussehen als vor der Überflutung“, sagte Thomas Kufen, Vize-Vorsitzender des Städtetages NRW und Oberbürgermeister von Essen, auf Nachfrage. Es werde künftig auch um ein krisenfestes, resilientes Bauen gehen.

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Zum Schutz vor künftigem Extremwetter gehöre auch, die Menschen für die Risiken zu sensibilisieren, so Kufen. Dafür entwickeln die Städte Gefahren- und Starkregenkarten, die der Bevölkerung aufzeigen, wo Überschwemmungen auftreten können. „Dieses Wissen wird auch für den Wiederaufbau in den überfluteten Regionen wichtig sein. Wenn in Gebieten auf Basis einer solchen Gefährdungsabschätzung erneute Fluten absehbar sind, müssen vor Ort besondere Sicherungsmaßnahmen beim Wiederaufbau von Häusern und der kommunalen Infrastruktur mitgeplant werden“, erklärt Kufen.

Hochwasser-Katastrophen könnten häufiger auftreten

Kann man Brücken, Häuser, Ortschaften an selber Stelle wieder errichten, wo sie von der Flut mit Macht fortgeschwemmt wurden? Experten aus der Wissenschaft plädieren für ein wohl überlegtes Vorgehen. „Man muss dabei berücksichtigen, dass solche bisher seltenen Jahrhunderthochwasser infolge des Klimawandels in Zukunft häufiger auftreten könnten“, sagt Christian Albert, Professor für Umweltanalyse und -planung in metropolitanen Räumen an der Ruhr-Universität Bochum, dieser Redaktion.

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Beim Hochwasserschutz gebe es grundsätzlich drei Möglichkeiten: Den Schutz verbessern – etwa durch Deiche oder Flutmauern, die Siedlungsstruktur anpassungsfähig gegenüber Hochwasser gestalten, oder auch bestimmte Gebiete nicht erneut zu bebauen. Die „goldene Lösung“ gebe es dabei allerdings nicht, je nach Lage und Ort müsse geprüft werden, welche technischen und auch naturbasierten Maßnahmen sinnvoll und umsetzbar sind, so Albert.

Mehr Raum für Bäche und Flüsse

In jedem Fall sollte schon am Oberlauf der Flüsse mehr Raum geschaffen werden für die Folgen möglicher Starkregenfälle, etwa durch Rückhaltebecken, Überflutungsflächen, Feuchtgebiete oder zu Grünland umgewandelte Ackerflächen. „Diese naturbasierten Maßnahmen tragen dazu bei, dass das Wasser besser gehalten wird und nicht mehr mit hoher Geschwindigkeit zu Tal rauscht.“ Dadurch werde man Überschwemmungen zwar nicht vollständig verhindern können, so Albert. „Doch tragen sie dazu bei, die Hochwasserspitzen zu senken.“

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„Aufbauen, ja. Aber besser!“ So bringt es Prof. Lothar Schrott vom Institut für Geographie der Universität Bonn auf dem Punkt. Höhere Dämme allein würden indes wenig ausrichten. Die Politik müsse jetzt, angesichts der Katastrophe, die Chance ergreifen, mit Überflutungsflächen, besseren Baumaßnahmen und einem flächendeckenden Frühwarnsystem für mehr Schutz zu sorgen, meint der Leiter des Masterstudiengangs für Katastrophenvorsorge und -management.

Notfallpläne für die Bürger

So müsse zum Beispiel die Bauweise von Häusern überprüft werden. Brücken sollten so konzipiert werden, dass sie einen besseren Durchfluss ermöglichen und sich Trümmer und Material an den Pfeilern nicht zu einem künstlichen Damm verkeilen könnten, was die Lage dann weiter verschlimmert.

Die Hochwasser-Katastrophe habe aber auch gezeigt, dass den Menschen die Gefahr keineswegs bewusst war. Daher sieht Schrott einen wichtigen Baustein der Vorsorge in der Aufklärung der Bürger. Nötig seien daher Notfallpläne mit genauen Handlungsanweisungen für den Ernstfall. In von Naturkatastrophen bedrohten Ländern wie Japan oder Neuseeland sei das längst üblich.