Düsseldorf. Die gefährliche Delta-Variante ist auf dem Vormarsch. Kann man unter diesen Umständen weiter lockern? Fachleute warnen davor.

Die zunehmende Verbreitung der besonders ansteckenden Delta-Virusvariante in Deutschland weckt Befürchtungen vor einer möglichen vierten Coronawelle. In NRW warnen daher immer mehr Experten davor, die Corona-Regeln noch weiter zu lockern.

Es spreche zwar aktuell wenig dafür, die Abschaffung der Maskenpflicht im Freien in Frage zu stellen. „Wir sind aber gegen eine Aufhebung der anderen Masken- und Abstandsgebote“, sagten die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung (KVNO) Nordrhein, Frank Bergmann und Carsten König am Donnerstag.

"Die Pandemie ist nicht vorbei"

„Man kann im Moment der Eindruck gewinnen, die Pandemie sei vorbei. Das ist aber nicht so“, erklärte Bergmann. Auch der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl warnte auf Twitter, man müsse aufpassen, „dass die Inzidenzen nicht durch leichtsinnige Öffnungen wieder nach oben gehen.“

Die zunächst in Indien entdeckte, gefährliche Coronavirus-Variante Delta hat Großbritannien zum Aufschub von Lockerungen geführt und bereitet auch vielen Medizinern in Deutschland immer mehr Sorgen. Die Delta-Variante ist mit 6,2 Prozent Anteil hierzulande zwar immer noch selten, aber ihr Anteil an den Neuinfektionen verdoppelte sich zuletzt innerhalb von nur einer Woche. Wer nur eine Erstimpfung hat, ist nur eingeschränkt gegen diese Mutation geschützt.

SPD-Politiker Yüksel kritisiert "aggressive Öffnungspolitik"

Der Bochumer Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel (SPD) beobachtet eine „Öffnungsorgie“ und einen „Überbietungswettlauf“ in NRW. „Ich kann vor einer so aggressiven Öffnungspolitik nur warnen“, sagte der Politiker, der dem Landtags-Gesundheitsausschuss angehört. Die Gefahren, die von der Delta-Variante ausgingen, würden in NRW und in Deutschland unterschätzt.

Yüksel fordert, dass in den Innenbereichen von Restaurants und Kulturstätten Masken- und Testpflicht beibehalten werden sollten. Nun wieder mögliche Großveranstaltungen und größere Menschenansammlungen seien „sehr riskant“. Es wäre aus seiner Sicht besser gewesen, mit Lockerungsschritten noch so lange zu warten, bis die Zahl der Geimpften deutlich höher sei.

Virologe Jörg Timm rät zu Lockerungen "in Etappen"

"Grundsätzlich halte ich eine Lockerung von Kontaktbeschränkungen bei den aktuell niedrigen Infektionszahlen für angemessen. Das bedeutet aber nicht, dass alle Maßnahmen sofort wegfallen können. Das sollte in Etappen passieren und die Infektionsentwicklung muss gleichzeitig beobachtet werden", sagte Prof. Jörg Timm, Direktor des Instituts für Virologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, dieser Redaktion.

Die verfügbaren Daten aus England deuteten darauf hin, dass die Delta-Variante ansteckender sei als die Alpha-Variante und möglicherweise auch kränker mache, so Timm. Das Risiko einer Verbreitung sieht der Virologe daher auch für Deutschland. "Mit steigenden Impfraten in Deutschland vor allem in den vulnerablen Gruppen ist aus meiner Sicht aber die entscheidende Frage, ob es auch wieder vermehrt zu schweren Erkrankungen nach Impfung kommt. Da bin ich optimistisch, dass eine vollständige Impfung in der Regel auch vor einer schweren Infektion mit der Delta-Variante schützt."

Schulministerin Gebauer hält an Maskenpflicht im Unterricht fest

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte im Landtag, sie halte die Maskenpflicht im Unterricht „nach wie vor noch für sinnvoll“. Sie gab zu Bedenken, dass die Corona-Inzidenzwerte bei den Zehn- bis 19-Jährigen höher seien als die landesweite Durchschnittsinzidenz.

CDU-Landtagsfraktionsvize Thorsten Schick verwies auf die aktuell problematische Situation an britischen Schulen: „In Großbritannien hat man dafür gesorgt, dass die Masken abgenommen wurden. Dort nahmen dann die Infektionen unter Schülern in sehr großem Maße wieder zu.“ Deshalb sei hierzulande Vorsicht geboten.