Münster. Das Ende der Impfpriorisierung führt zum Ansturm auf die Praxen. Mediziner fordern von der Politik: Sagt, wann wieviel Impfstoff kommt.

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) fordert anlässlich der Aufhebung der Impfpriorisierung die Politik auf, die Bürger besser über den Impffortschritt zu informieren. „Es fehlt die Nachricht aus der Politik, wie es weitergeht. Wir brauchen klare Informationen, welche Impfstoffmengen wann ankommen,“ sagte Hans-Albert Gehle, Präsident der ÄKWL, am Montag in Münster.

Ärztekammer bittet Bürger um "Verständnis und Ruhe"

Die Mediziner müssten in den nächsten Tagen und Wochen „die Flut von Anfragen von Menschen, die geimpft werden wollen, aushalten müssen“, so Gehle. Er bat die Bevölkerung um „Verständnis und Ruhe“. Jeder, der eine Impfung wolle, werde demnächst geimpft werden.

Sowohl die Ärztekammer als auch Vertreter des Universitätsklinikums Münster begrüßen im Grundsatz die Freigabe des Impfstoffes von Biontech/Pfizer für Zwölf- bis 15-Jährige. Ob mit oder ohne klare Impf-Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko): „Es ist für die Kinderärzte kein Problem, nach sorgfältiger Besprechung mit den Eltern und den Kindern und Jugendlichen zu impfen“, sagte Prof. Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Münster.

Jugendliche müssen in Impf-Entscheidung einbezogen werden

Es handele sich um eine von der Europäischen Arzneimittelbehörde zugelassene Impfung und werde nach sorgfältiger Abwägung nicht nur an schwer Vorerkrankten, sondern auch an gesunden Kindern vorgenommen. Zwölf- bis 16-Jährige müssten der Impfung selbst zustimmen. Eine Immunisierung über ihren Willen hinweg sei nicht gestattet.

Sowohl Ärztekammer-Präsident Gehle als auch der Jugendmediziner Omran raten dringend dazu, so schnell wie möglich auch die Gruppe der 18- bis 30-Jährigen zu impfen. Die jungen Erwachsenen erkrankten zwar selten schwer an Covid-19, trügen aber zur Verbreitung des Virus bei.

Rat der Mediziner: Auch an Abschlussklassen und Studierende denken

Bei der Immunisierung sollte besonders auch an die Abschlussjahrgänge der Schulen und an die Studierenden gedacht werden, um wieder einen sicheren Schul- und Universitätsbetrieb zu erreichen.

Senioren und Jugendliche, Kranke und Gesunde, Studenten und Arbeitnehmer – Ab sofort können sich alle gleichzeitig um einen Impftermin bemühen. Die bisherige Impf-Priorisierung in Deutschland, die besonders Senioren und Vorerkrankte begünstigte, fällt weg. Der befürchtete zusätzliche Ansturm auf Hausarztpraxen und Impfzentren blieb am Montag in NRW aber aus. Mediziner berichten von einer gleichbleibend großen Nachfrage nach Impfterminen, die im Moment kaum bedient werden könne.

Hausärzte bitten ihre Patienten um Geduld

Die NRW-Hausärzteverbände bitten Patienten angesichts fehlender Impfdosen um Geduld. „Die Praxisteams arbeiten alle an ihrer Kapazitätsgrenze und viel mehr wird nicht möglich sein“, sagte Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, betonte: „Der Arzt kann Ihnen jetzt noch keine Antwort darauf geben, wie viel Impfstoff er in der nächsten Woche bekommt.“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte schon vor Tagen erklärt, dass wegen des anhaltenden Impfstoffmangels in den Impfzentren „bis mindestens Mitte Juni“ keine Termine für Erstimpfungen vergeben werden. Die Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe wagt auch keine Prognose, wann die Vergabe solcher Termine wieder starten könnte.

In Arztpraxen werden neben Zweit-, derzeit auch Erstimpfungen angeboten. Die Opposition spottet über eine aktuelle Anzeigenkampagne der Landesregierung. Darin steht, dass ab dem 7. Juni jeder einen Impftermin vereinbaren könne. Angesichts des Gerangels um Impftermine eine gewagte Aussage, zumal jetzt auch noch die Kinder- und die Betriebsärzte mit der Immunisierung von Jugendlichen beziehungsweise Berufstätigen beginnen sollen.

Der Berufsverband der Betriebsärzte dämpfte die Erwartungen, dass viele Arbeitnehmer zeitnah geimpft werden könnten. Der Vorsitzende des Betriebsärzte-Regionalverbandes Nordrhein-Nord, Thomas Meier, sprach von Verzögerungen bei der Impfstofflieferung, und er rechnet mit einem riesigen Ansturm auf die Angebote: „Das ist wie bei den Tickets für ein Madonna-Konzert. In zwei Minuten ist alles weg“, sagte Meier. (mit dpa)