Essen. Experten warnen davor, die Zweitimpfung mit Astrazeneca wegen der Sommerferien vorzuziehen. Voller Schutz erst nach zwölf Wochen.

Experten warnen davor, die Abstände zwischen der Erst- und der Zweitimpfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca von zwölf auf bis zu vier Wochen zu verkürzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Präsident des Robert-Koch-Institutes, Lothar Wieler, sehen darin kein Problem. Bisher empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) indes eine Impfung mit dem Wirkstoff von Astrazeneca für die Altersgruppe über 60 Jahre mit einem Abstand von zwölf Wochen zwischen der ersten und der zweiten Dosis.

Heftige Kritik an der Verkürzung des Impfintervalls äußerte Marc Raschke, Sprecher des Klinikums Dortmund. Dass nun ein Impfstoff zum "arzeimittel-gewordenen Urlaubsversprechen gemacht wird, lässt mich nur den Kopf schütteln", teilte Raschke auf Instagram mit. Das sei Gesundheitspolitik wie auf einem Basar, auf dem man die Effektivität eines Wirkstoffs immer wieder neu aushandeln könne.

Bescheinigung für den Urlaub

Bundesgesundheitsminister Spahn hatte die Freigabe mit praktischen Erwägungen begründet. Viele Menschen wollten nicht so lange auf eine Zweitimpfung warten, um bereits für ihren Urlaub eine Bescheinigung für einen vollen Impfschutz zu bekommen. Hausärzte können den Wirkstoff ohne Priorisierung verimpfen. Den Ärzten sei überdies in Absprache mit den Patienten freigestellt, den Abstand für eine Astrazeneca-Zweitimpfung von zwölf auf bis zu vier Wochen zu verkürzen.

Hausärzte berichten seither von einem Run auf den zuvor oft verschmähten Impfstoff. Raschke weist indes darauf hin, dass ein gewisser Impf-Abstand durch das menschliche Immunsystem begründet sei, das auf das Trägervirus reagiert.

Auf Kosten des Impfschutzes

Prof. Carsten Watzl, Immunologe am Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund, warnt vor einer Verkürzung der Frist: „Studien haben klar gezeigt, dass die Effektivität bei einem Abstand von weniger als sechs Wochen nur 55 Prozent beträgt und erst bei einem Abstand von zwölf Wochen bei über 80 Prozent liegt. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied“, sagte Watzl dem Science Media Center (SMC) in Köln.

Man müsse den Menschen klar sagen: „Wenn Sie Ihren Impfabstand bei Astrazeneca verkürzen, um damit schneller in den Genuss von Lockerungen zu kommen, machen Sie das auf Kosten ihres Immunschutzes.“ Für die Impfstrategie sei die Verkürzung der Abstände der falsche Schritt, so Watzl. Denn dadurch bekämen weniger Personen einen frühen Immunschutz durch die erste Impfung. Watzl: „Im Sommer haben wir genügend Zeit, uns um die Zweitimpfungen zu kümmern, die natürlich absolut notwendig sind.“

Viele könnten zweite Dosis verpassen

Auch Prof. André Karch, Epidemiologe am Universitätsklinikum Münster, verweist auf einen besseren Immunschutz bei einem Impfabstand von zwölf Wochen. Er gibt allerdings mit Blick auf die Sommerferien zu bedenken, dass viele zum Termin der zweiten Impfung womöglich verreist sind und ihre zweite Dosis verpassen könnten. Diese sei aber nicht nur für den Schutz der einzelnen Person wichtig, sondern auch für den Schutz der Bevölkerung.

Karch: „Wenn die Verkürzung des Abstands zwischen den Impfdosen also dazu führen würde, dass mehr Zweitimpfungen vorgenommen werden, dann kann diese Maßnahme auf Populationsebene sinnvoll ein, auch wenn das längere Impfintervall auf Individualebene besser wäre.“ Allerdings seien die Argumente für eine Verkürzung des Abstands zwischen den beiden Impfdosen aus seiner Sicht „eher schwach“.

Nicht hilfreich bei der Pandemiebekämpfung

Prof. Christian Bogdan, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Erlangen und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), beklagt ebenfalls die Öffnung der Fristen: "Auch wenn die Zulassung einen Impfabstand von vier Wochen erlaubt, sehe ich die Verkürzung des Impfintervalls von zwölf auf unter sechs Wochen sehr kritisch, da dies nachweislich zu einer Reduktion der Schutzwirkung führt", sagte er dem SMC. Zudem werde durch eine Verkürzung des Impfintervalls die Pandemiebekämpfung insgesamt nicht vorangetrieben.

Termine in den NRW-Impfzentren bleiben

Unterdessen hat das NRW-Gesundheitsministerium klargestellt, dass die Termine für die Zweitimpfung in den Impfzentren aufgrund des damit verbundenen organisatorischen Aufwands nicht nach vorne gezogen werden könnten. Die Freigabe der Impfung mit dem Wirkstoff von Atsrazeneca für Menschen unter 60 Jahren habe keine Auswirkung auf die Impfzentren in NRW, so das Ministerium. Mit dem Hausarzt könne indes eine Verkürzung der Frist individuell vereinbart werden.