Düsseldorf. Die Landesregierung will die Entscheidung über Umbau und Abriss älterer Gebäude stärker in lokale Hände geben – Experten üben Kritik.
In Nordrhein-Westfalen gibt es rund 80.000 eingetragene Baudenkmäler, die unter staatlichem Schutz stehen. Sie dürfen von ihren Eigentümern nicht ohne weiteres umgebaut, renoviert oder abgerissen werden. Burgen, Höfe, Villen, aber auch Hallen und Brücken. So sollen architektonische Epochen für jede neue Generation nachvollziehbar bleiben. Das Problem: Bei der Beurteilung, was bewahrenswert oder denkmalwürdig ist, gibt es viele Perspektiven. Jene der Wissenschaft, der Stadtplanung, der Inhaber und eben der „normalen“ Bürger.
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat sich nun vorgenommen, was all ihre Amtsvorgänger in den vergangenen Jahrzehnten lieber nicht anfassten: Sie will die Interessenlagen neu ordnen, künftig langwierige Streitigkeiten verhindern und das Denkmalschutzgesetz des Landes von 1980 erstmals umfassend reformieren. Noch vor der Sommerpause soll Scharrenbachs Entwurf in den Landtag eingebracht werden und Anfang 2022 in Kraft treten.
Die lokale Entscheidungskompetenz soll gestärkt werden
Wichtigste Neuerung: Die lokale Entscheidungskompetenz wird gestärkt. Über den Denkmalschutz eines Bauwerks entscheidet in NRW bislang zunächst die „Untere Denkmalbehörde“, die Teil der Stadtverwaltung ist. Danach kommen die Denkmalpflegeämter der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen ins Spiel, Landeskonservatoren genannt. Sie haben seit Jahrzehnten eine starke Stellung, weil sie weisungsungebunden sind und jede Menge anerkannte Expertise bündeln.
Sind sich die beiden Instanzen nicht einig, kann es zu einem Ministerentscheid kommen. Gerade solche herausragenden Streitfälle illustrieren, dass der Denkmalschutz in NRW zuweilen sonderbare Wege nimmt. 2012 hatte der damalige SPD-Bauminister Harry Voigtsberger etwa grünes Licht für den Abriss der denkmalgeschützten Düsseldorfer Stelzenstraße „Tausendfüßler“ gegeben – das eigentümliche Brückenbauwerk aus den 60er Jahren stand der Entwicklung des heutigen „Kö-Bogens“ im Weg.
In Streitfällen musste das Bauministerium entscheiden
Scharrenbach selbst erlaubte 2019 den Abriss des Ahlener Rathauses, das zwar die klotzig-karge Ästhetik der 1970er ausstrahlte, dem Landeskonservator aber dennoch als erhaltenswertes Zeugnis einer besonderen Phase der Architekturgeschichte erschien. Künftig sollen solche Abriss-, Umbau- und Neunutzungsentscheidungen stärker vor Ort getroffen werden. Die Expertise der Landschaftsverbände würde nach der Gesetzesreform nur noch angehört.
Dort treffen Scharrenbachs Pläne auf erbitterten Widerstand: „Durch eine freiwillige Anhörung der Fachleute bei den Landschaftsverbänden statt des bisherigen sogenannten Benehmens fiele oft die Beratung durch die Fachleute weg. Damit wäre auch zu befürchten, dass viele Förderanträge für Denkmäler ins Leere liefen, weil die fachliche Unterstützung nicht reicht“, erklärt die Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen, Barbara Rüschoff-Parzinger.
Können die lokalen Ämter den kulturhistorischen Zeugniswert beurteilen?
Groß ist die Sorge, dass die Denkmalämter vor Ort den kulturhistorischen Zeugniswert nicht einschätzen können oder politischen und wirtschaftlichen Zwängen unterliegen. Volle Unterstützung genießt Scharrenbach dagegen bei vielen Inhabern von Denkmälern. „Wenn ich historische Bauwerke erhalten will, muss ich auch eine moderne Nutzung zulassen“, sagt der Vorsitzende des Vereins „Familienbetriebe Land und Forst“, Max Freiherr von Elverfeldt. Es könne nicht sein, dass in langwierigen Verfahren zwischen den Instanzen über die energetische Sanierung eines Stalls oder auch nur die Farbe eines Geländers gestritten werde. „Im Austausch zwischen Inhabern und den Akteuren vor Ort gelingt es besser, Denkmäler zu erhalten“, glaubt von Elverfeldt.
Lob bekommt Scharrenbach auch vom Verwaltungsrichter und Baurechtsexperten Gerd-Ulrich Kapteina. Es sei sinnvoll, dass NRW ähnlich wie andere Bundesländer neben der Fachwissenschaft endlich stärker die lokale Entscheidungskompetenz und das Denkmalbewusstsein der Bürger einbeziehen wolle. „Das ist kein Weniger an Denkmalschutz“, sagt Kapteina. So sei zum Beispiel in Essen die 50er-Jahre-Villa des Industriellen Berthold Beitz aus Expertensicht als nicht denkmalwürdig erachtet und abgerissen worden, obwohl der stadthistorische Wert des einstigen Tummelplatzes der Nachkriegsprominenz kaum in Zweifel gezogen werden könne.