Essen. Unis haben Präsenzklausuren abgesagt. Onlineprüfungen mit Fernüberwachung sind aber nicht nur unter Studierenden umstritten

Seminare und Vorlesungen per Video am Laptop zu verfolgen, daran haben sich die Studierenden gewöhnen müssen. Die Lehre findet in der Corona-Pandemie seit einem Jahr fast ausschließlich online statt. Aber was ist mit den Prüfungen? Jetzt beginnt in NRW die erste komplette Prüfungsphase im Lockdown. Und es zeigt sich, dass die Hochschulen dabei ganz unterschiedliche Wege gehen.

Zusammen mit hunderten Kommilitonen sollte Politikstudent Berat Arifi Ende Februar an der Uni Duisburg-Essen eine Klausur schreiben. Aus Angst vor Infektionen protestierten sie dagegen. Zwei Wochen vor der Klausur wurde der Termin schließlich verschoben. Sie soll nun Ende März in einem eigens für Massenprüfungen errichteten Zeltbau auf dem Duisburger Campus der Uni stattfinden.

Notlösungen in der Pandemie

Nach Angaben der Universität können hier nach dem Lockdown bis zu 250 Studierende mit Maske und Abstand gleichzeitig ihre Prüfungen schreiben. Ab 8. März bis zum Monatsende sind in dem Zelt 17 Prüfungstermine angesetzt. Viele Studierende haben dennoch große Bedenken. „Wieso geht das nicht online?“ So fragt nicht nur Berat Arifi.

Im vergangenen Semester behalfen sich die Unis noch mit diversen Notlösungen. So buchte die TU Dortmund die Westfalenhallen, um Massenklausuren mit 600 Prüflingen unter Hygienebedingungen abhalten zu können. Andere Hochschulen wichen auf Säle oder Messehallen aus. In kleinen Fächer wurden Video-Prüfungen veranstaltet, bei denen Studenten zum Teil vorab die Laptopkamera unter den Schreibtisch halten mussten, um zu beweisen, dass niemand unter dem Tisch hockt und vorsagt.

Hochschulverband befürchtet Klagen

Aber wie können Online-Prüfungen auch in Massenfächern rechts- und datenschutzkonform und zugleich mogelsicher sein? Der Deutsche Hochschulverband (DHV) befürchtet, dass auf die Verwaltungsgerichte eine Klagewelle zurollen könnte von Studierenden, die sich wegen technischer Probleme oder unklarer Rechtslage benachteiligt sehen könnten.

Online-Prüfungen sind aber derzeit oftmals die einzige Möglichkeit, negative Auswirkungen auf den Werdegang der Studierenden zu vermeiden, betont DHV-Präsident Bernhard Kempen. Corona dürfe die Studierenden nicht ausbremsen. Daher fordert er von den Beteiligten „Improvisation, Mut, Flexibilität und Augenmaß, um Prüfungen in Pandemiezeiten erfolgreich durchzuführen.“

Fernüberwachung der Prüflinge umstritten

Wie das in der Praxis ablaufen kann, ist aber ungewiss. Klar ist derzeit nur, dass Prüfungen an den Unis in NRW nicht mehr in Präsenzform stattfinden sollen. „Uns hat eine Dozentin gesagt: An Ihrer Stelle würde ich einen zweiten Bildschirm aufstellen, dann haben sie alle nötigen Inhalte parat“, erzählt eine 23-jährige Sowi-Studentin. Ganz so einfach wollen es aber nicht alle Professoren ihren Prüflingen machen.

Das andere Extrem ist die komplette Fernüberwachung des Prüflings mit Hilfe einer Spezialsoftware, das sogenannte Online-Proctoring. Dabei kann jeder Mausklick, jeder Tipp auf der Tastatur und sogar der Monitor samt geöffneten Programmen kontrolliert werden. Möglich ist zudem ein 360-Grad-Kameraschwenk durch den Raum des Prüflings. Diese Art der Überwachung lehnen Studentenvertreter aber als „rechtlich zweifelhaften Eingriff in Datenschutz und Privatsphäre der Studierenden“ strikt ab.

Fragen nach dem Zufallsprinzip

Form und Inhalt der Prüfungen stehen den Fakultäten indes frei. Wichtig sei vor allem, „dass Studierende nach einer erfolgreich absolvierten Prüfung die vorgesehenen Lern- und Kompetenzziele ohne Qualitätsabstriche wegen der Lern- und Prüfungsbedingungen im Corona-Semester bescheinigt bekommen“, teilt die Uni Duisburg-Essen mit. Wie das abläuft, sei abhängig von der Zahl der Prüfungen und von dem Prüfungsstoff, erklärt Eva Prost, Sprecherin der TU Dortmund.

In kleineren Seminaren seien Prüfungen per Video möglich. Statt einer Klausur könne auch eine „Hausaufgabe“ oder eine schriftlich auszuarbeitende Hausarbeit verlangt werden. „Manche Klausuren, etwa im Multiple-Choice-Format, lassen sich leicht digitalisieren“, sagt Prost. Schummelversuche könne man verhindern, etwa indem Fragen variiert oder nach dem Zufallsprinzip gestellt werden, damit nicht viele Studierende zur selben Zeit zu Hause die gleiche Klausur bearbeiten. Zudem könne technisch verhindert werden, dass Prüflinge in den Fragen vor- und zurückklicken – „sonst könnten sie ja in der Zwischenzeit eine Whatsapp-Gruppe bilden und sich absprechen“.

Hilfsmittel erlaubt bei "Open-Book-Klausuren"

Auf eine Identitätsprüfung sowie eine Kontrolle per Video während der Klausur bestehen aber die meisten Unis. Prost: „Eine Aufsicht per Web-Cam ist erlaubt. Nicht erlaubt ist es, Tastatur und Bildschirm zu überwachen. Und das tun wir auch nicht.“

Nach Ansicht mancher Dozenten lasse sich das Schummeln sinnvoll vermeiden, indem man vor allem Eigenleistung, Lösungskompetenz und Verständnis abfragt anstatt bloß Antworten ankreuzen zu lassen. Gemeint sind „Open-Book-Klausuren“, bei denen die Prüflinge vorher festgelegte Hilfsmittel verwenden dürfen. Nach Meinung der DHV ist dies neben Hausarbeiten und mündlichen Online-Einzelprüfungen derzeit das Format der Wahl.

Wenn der Student den Stecker zieht...

„Open-Book-Klausuren weisen in die Zukunft: Zum einen werden sie dem Wesen einer universitären Prüfung gerechter, weil sie an Stelle der reinen Wissensabfrage auf Synthese- und Transferleistungen setzen“, so DHV-Präsident Kempen. „Zum anderen entziehen sie wenigstens partiell möglichen Täuschungsabsichten die Grundlage.“ Per Video überwachte Heim-Klausuren seien hingegen aus datenschutzrechtlichen Gründen fragwürdig.

Rechtsexperten gehen sogar einen Schritt weiter und sehen gar keine Möglichkeit, beaufsichtigte Online-Klausuren rechtssicher durchzuführen: „Was ist, wenn die Verbindung abreißt? Wenn ein Studierender den Stecker zieht und behauptet, die Verbindung sei abgebrochen?“, gab der Kölner Rechtsprofessor Rolf Schwartmann im Interview mit dem Hochschulforum Digitalisierung zu bedenken. „Was ist, wenn sich Studierende zu Recht nicht in ihrem Privatraum überwachen lassen wollen?“ Er plädiert dafür, schriftliche Prüfungen in ein „herkömmliches Hausarbeitsformat“ umzuwandeln.

Er verstehe ja, dass viele Professoren bei den Online-Formaten zurückhaltend und skeptisch sind, sagt Politikstudent Berat Arifi. Prüfungen zu verschieben, sei aber keine Lösung, denn niemand wisse, wann die Hochschulen wieder öffnen. „Wir haben jetzt ein Jahr Corona. Da ist zu wenig passiert.“