Bochum. Corona führt zu einer Rückbesinnung auf die eigenen vier Wände. Wir haben mit Experten, Mietern und Vermietern über den Wohnmarkt NRW gesprochen.
Einkaufen, Spazierengehen, Sport an der frischen Luft – das war’s auch schon. Dann geht’s flugs zurück ins traute Heim. In die Wohnung oder ins Haus. Ob gemietet oder gekauft: Der Wert des eigenen Obdachs erfährt seit gut einem Jahr unverhofft mehr Wertschätzung. Dort spielt sich das Leben ab, das anders ist als damals. Wie es in den heimischen vier Wänden aussieht, ist dank der Corona-Pandemie wichtiger denn je. Ein Grund für viele, einen Blick auf den Markt im Ruhrgebiet zu werfen. Wo ist es günstig, wo teuer? Was macht das Revier so attraktiv und aus welchen Gründen gibt es Unterschiede? Unser Immobilien-Atlas begibt sich auf die Suche nach Antworten.
Preise unter dem NRW-Schnitt
Ein Vorteil der Region: Wer im Ruhrgebiet mietet, schont seinen Geldbeutel. Das ergab eine gemeinsame Studie der EBZ-Business-School und des Institut für Wohnungswesen (InWIS) in Bochum. Demnach liegen die Mietpreise im „Pott“ im Schnitt bei 6,17 Euro pro Quadratmeter. Deutlich niedriger als als der Schnitt in Nordrhein-Westfalen (6,66 Euro). „Es fragt sich lediglich, wie lange die Preise in der Region noch auf diesem Niveau bleiben werden“, sagt Anna Lorenz, Leiterin Markt- und Standortanalysen beim InWIS, im Gespräch mit der Sonntagszeitung. Das Ruhrgebiet werde schließlich noch immer unterschätzt.
Wandel vollzogen in Essen und Dortmund
Die 32-Jährige spricht aus eigener Erfahrung. Als sie für ihr Studium nach Dortmund zog, habe die Region einen tristen Eindruck auf sie gemacht. „Ich wollte gern meinen Master machen und dann so schnell wie möglich wieder wegziehen“, erinnert sie sich. Ihre Heimat Ostfriesland fehlte ihr, doch mit der Zeit habe sie die schönen Ecken des Reviers entdeckt. Dabei bröckelte scheinbar das Vorurteil von der tristen Arbeitergegend bestehend aus Stahl, Kohle und Beton. Stattdessen: Viel Grün, viele Freiräume und naturräumliche Qualitäten. „Dieser Wandel hat stattgefunden, findet statt und wird auch weiterhin stattfinden.“
Exemplarisch dafür seien Dortmund und Essen mit üblicherweise vielen Freizeitmöglichkeiten, aber auch mit Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten. Die beiden größten Ruhrgebietsstädte haben den Wandel bereits vollzogen. Andere Regionen sind gerade mittendrin, sagt die Expertin. „Als weitere Städte mit aussichtsreichen Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich Bochum, Duisburg und Recklinghausen.“
Bochum habe als Stadt mit einer der zehn größten Universitäten der Republik immer noch erschwingliche Preisen für Mietwohnraum. Duisburg leide zwar immer noch unter dem Ruf der kalten und schmuddeligen Arbeitergegend, „dabei hat die Stadt besondere Naturlandschaften mit schnellem Zugang nach Düsseldorf“, betont Lorenz. Recklinghausen wiederum verfüge über eine charmante Altstadt und die Nähe zum ländlichen Münsterland.
Der Wohnungsbau hängt hinterher
Die schönen Plätze des Ruhrgebiets hervorzuheben ist noch immer mühsam. Schließlich haben sich Bereiche unterschiedlich entwickelt. „In vielen Städten im Ruhrgebiet gilt immer noch das bekannte Nord-Süd-Gefälle“, betont Lorenz. Den teils idyllischen südlichen Stadtteilen halte das Revier noch immer weniger attraktive Gebiete im Norden entgegen.
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Und in Zukunft? Die Region wandelt sich weiter, der Immobilienmarkt hingegen nur bedingt, sagt Anna Lorenz. Der deutsche Markt scheue bislang das Risiko. Denn mit dem angesprochenen Wandel gehe einher, dass die Gesellschaft vielfältiger und bunter werde. „Die Ansprüche werden differenzierter, aber der Wohnungsmarkt und der Wohnungsbau hängen ein bisschen hinterher.“
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Zwar gebe es hier und da bereits Angebote für diese differenzierten Ansprüche wie zum Beispiel gemeinschaftliches Wohnen, temporäres Wohnen oder Mikrowohnprojekte für Studierende. Doch diesbezüglich sei der Markt im Ruhrgebiet und in Deutschland im Allgemeinen weiter in der Entwicklung. Der Rat der Expertin für die Zukunft: „Der Wohnungsmarkt darf und sollte ruhig experimentierfreudiger sein.“
Vergleichsweise Günstig
Das Immobilienportal immowelt.de hat die Angebotspreise von Häusern im 1. Halbjahr 2020 in deutschen Großstädten analysiert. Fazit: bezahlbare Eigenheime werden im Süden Deutschlands rar. Zwar hätten auch die Preise für Eigentum im Ruhrgebiet leicht angezogen, doch Wohnraum im Revier bleibt erschwinglicher als vielerorts anderswo.
Im Schnitt kostet in Dortmund ein Einfamilienhaus etwa 368.000 Euro. In Bochum müssen Käufer für ähnliche Immobilien rund 358.000 Euro aufbringen, in Essen hingegen 385.000 Euro. Günstigere Häuser gibt es in Duisburg (325.000 Euro) und Gelsenkirchen (290.000 Euro). Echte Schnäppchen, wenn man mit manchen anderen Städten vergleicht. Am teuersten wohnt es sich in München mit einem Durchschnittspreis von 1.262.000 Euro. Einfamilienhäuser in Frankfurt sind mit 747.000 Euro doppelt so teuer wie in Dortmund. Ein Haus in Hamburg kostet 591.000 Euro, in Düsseldorf 571.000 Euro.
Datenbasis für die Berechnung der Kaufpreise waren vermehrt nachgefragte Inserate auf immowelt.de. Die Preise geben den Mittelwert der in den Monaten Januar bis Juni 2020 angebotenen Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Reihenendhäuser wieder (bis 200 Quadratmeter Wohnfläche; 100 bis 800 Quadratmeter Grundstücksfläche).
Für die zukünftigen Kaufpreise in den Ruhrpott-Metropolen Dortmund und Essen prognostiziert das Portal bis 2030 einen Anstieg von 21 und 24 Prozent.
Das sagt der Vermieter
Auf der Suche nach der passenden Immobilie den Überblick zu behalten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Doch auch Vermieter haben zu kämpfen. Insbesondere seit der Corona-Pandemie ist das Geschäft auch für Anbieter schwieriger geworden. Wir sprachen mit André Göttfert (35), der bei Vivawest in der Vermietung angestellt ist.
Wie erleben Sie Ihre Interessenten, seit Beginn der Corona-Pandemie?
André Göttfert: Viele Menschen halten sich die Suche nach etwas Neuem offen oder legen Wert auf Flexibilität in vielerlei Hinsicht. Einige haben Sorgen um ihre berufliche Zukunft, also ihre Jobsicherheit. Darunter kann teilweise die Verbindlichkeit leiden. Bezogen auf die Aufteilung der Wohnung gilt die genannte Flexibilität aber auch.
Inwiefern?
Die Nachfrage nach einem zusätzlichen Raum steigt. Und immer mehr fällt dabei auch der Begriff Homeoffice. Eine Anfrage, mit der ich seit einiger Zeit immer wieder – vor allem im Kontakt mit jungen Berufstätigen – konfrontiert bin, ist die nach Drei-Zimmer-Wohnungen. Oft heißt es: „Erst Büro, dann Kinderzimmer“.
Sie stehen mit vielen Menschen im persönlichen Kontakt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wir haben bereits vor der Corona-Pandemie begonnen, Interessenten digitale Lösungen anzubieten. Zum Beispiel 360°-Besichtigungen bei einigen Neubau-Projekten, die es Interessenten ermöglichen, die potenzielle Wohnung am heimischen Computer virtuell zu besichtigen. Zudem bieten wir Interessenten eine sogenannte Video-Begehung an, das heißt, der Vermieter führt den Kunden mit Hilfe seiner Handykamera durch die Wohnung. Wir versuchen insgesamt, mit Interessenten so viel wie möglich per Telefon, Video oder Mail zu kommunizieren. Bei Besichtigungsterminen und Wohnungsübergaben sind persönliche Kontakte jedoch nicht zu vermeiden. Wir haben deshalb ein Hygienekonzept aufgestellt, und achten auf die Einhaltung von Abstandsregel und Maskenpflicht. Manchmal kommt es allerdings vor, dass wir Interessenten vor Ort leider an die Schutzmaßnahmen wie Abstand oder Maskenpflicht erinnern müssen.
Was war die größte Veränderung in Ihrem Berufsalltag?
Die Qualität der persönlichen Gespräche leidet leider aufgrund der Abstandsregel und Maskenpflicht. Das ist für uns weiterhin eine Herausforderung, da für Vermieter der persönliche Kontakt zu Interessenten sehr wichtig ist, um für die jeweilige Wohnung den passenden Mieter zu finden. Mit unseren angesprochenen digitalen Lösungen haben wir aber auch Möglichkeiten, Interessenten vor dem Besichtigungstermin besser kennenzulernen.
… und Sie sucht nach einer Wohnung
Verena Sommers* ist auf der Suche nach einer Wohnung im nördlichen Ruhrgebiet. Uns hat die 26-jährige Angestellte ihre Erfahrungen geschildert.
Wie empfinden Sie die Wohnungssuche im Allgemeinen?
Als anstrengend. Das Prozedere ist ja oft gleich: Es kommt ein passendes Angebot, ich melde mich, um einen Termin zu bekommen. Dann habe ich kurz Hoffnung, die aber kurz danach wieder zerstört wird. Aktuell ist das nichts, was mir Spaß macht.
Welche Resonanzen bekommen Sie?
Bisher habe ich leider noch keine Zusage für eine Wohnung bekommen. Bei den Absagen spielte oft mein Alter eine Rolle. Dabei bin ich berufstätig und suche mir selbstverständlich nur Wohnungen aus, für die ich die Miete bezahlen kann. Ich suche allerdings eine Wohnung für mich allein. Daher sind einige Anbieterinnen und Anbieter vorsichtig, weil sie vermuten, dass ich eine Familie gründen und in wenigen Jahren wieder ausziehen muss.
Sind die aufgerufenen Preise für die Wohnungen denn nachvollziehbar?
Bisher konnte ich einige Objekte vergleichen. Dabei hat sich in meinen Augen kein großer Unterschied gezeigt. Hin und wieder waren es kleine Abweichungen – je nach Größe und Lage. Allerdings habe ich mich mit dem Thema Mietspiegel nicht ausgiebig auseinandergesetzt, um es mit anderen Gegenden zu vergleichen.
Sind die Angebote individuell oder begegnen Sie eher gängigen Standard-Aufteilungen?
Ich schaue mir vornehmlich Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnungen an. Besonders kreative Aufteilungen haben ich dabei noch nicht gesehen.
Gibt es bei besonders beliebten Objekten Forderungen nach besonderen Leistungen?
In der Gegend, in der ich bevorzugt suche, wollen außer mir viele Menschen leben. Daher gehe ich davon aus, dass die Wohnungen dort durchaus beliebt sind. Zum Glück sind mir solche Dinge aber noch nicht begegnet.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG