Düsseldorf. Nach Münster kratzt Mülheim als zweite NRW-Großstadt an dem wichtigen Schwellenwert – doch wie es weitergehen soll, weiß niemand.
Angesichts weiter sinkender Corona-Zahlen in Nordrhein-Westfalen wächst die Ratlosigkeit über den weiteren Umgang mit der politischen Zielmarke von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche (Inzidenz). Nach Münster (32,4) schickte sich am Dienstag auch Mülheim (51,6) als zweite NRW-Großstadt an, den wichtigen Schwellenwert zu unterschreiten. Vor mehr als drei Monaten hatten Bund und Länder das Erreichen der Inzidenz 50 zum Ziel aller Lockdown-Maßnahmen erklärt, weil ab diesem Infektionsaufkommen die örtlichen Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung zur Eindämmung der Pandemie wieder leisten könnten.
Das NRW-Gesundheitsministerium bestätigte am Dienstag auf Anfrage unserer Redaktion, dass Kommunen im Einvernehmen mit der Landesregierung grundsätzlich abweichende Regelungen von der noch bis mindestens 14. Februar geltenden Corona-Schutzverordnung treffen könnten – also auch Lockerungen bei den Grundrechtseinschränkungen wären möglich.
Lockerungen? Mülheim hält wenig von Alleingängen
Die Stadtverwaltung in Mülheim hält jedoch wenig von Alleingängen. „Wenn wir lockern, werden die Leute vielleicht auch zu schnell wieder locker“, sagte ein Stadtsprecher auf Anfrage. Ein rascher Wiederanstieg der Infektionszahlen sei dann nicht auszuschließen. Bislang sei man gut damit gefahren, sich an die Landesbestimmungen zu halten. Zumal Mülheim als Stadt im Ballungsraum Rhein-Ruhr bei einsamen Öffnungsschritten im Handel und Freizeitbereich mit Corona-Tourismus rechnen müsste.
Warum sich die Infektionslage in Städten wie Mülheim und Münster überhaupt so auffallend positiv entwickelt, ist unter Experten umstritten. Mancher führt Besonderheiten der Bevölkerungsstruktur (Alter, Mobilität, Bildungsniveau) ins Feld, andere die gute kommunale Kommunikationsarbeit. Womöglich gehört aber auch bloß eine Portion Glück dazu, dass sich größere Infektionsherde schnell lokalisieren und eindämmen ließen.
Wirtschaft fürchtet Hin und Her bei Lockerungen
Die Wirtschaft an Rhein und Ruhr sieht mit Erreichen der 50er-Inzidenz ein Dilemma aufziehen. Einerseits bräuchten Bürger und Unternehmen eine Perspektive, auf welches Ziel die Lockdown-Maßnahmen überhaupt ausgerichtet sein sollen, sagte Guido Zakrzewski von der IHK Essen-Mülheim-Oberhausen. Andererseits sei ein Hin und Her aus Lockerungen und Verschärfungen von Corona-Maßnahmen wirtschaftlich katastrophal. Die IHKs in NRW wollen nun bis zu den nächsten Bund-Länder-Beratungen am 10. Februar eigene Öffnungsszenarien mit verbindlichen Korridoren bei Infektionszahlen entwerfen, auf die sich Gewerbetreibende einstellen könnten.
Bei der Handwerkskammer Düsseldorf wollte man sich zum Erreichen der 50er-Schwelle nicht konkret äußern. Nach monatelangem Lockdown haben viele Kleinunternehmer ihre letzten privaten Reserven aufgebraucht und hegen wenig Hoffnung, dass sie rasch wieder Geld verdienen dürfen. Man benötige endlich „eine realistische und konkrete Öffnungsperspektive“, hieß es bei den betroffenen Innungen. Das Friseurhandwerk etwa verfüge über hervorragende Hygienekonzepte, „mit denen sich verantwortlich und sicher öffnen lässt“.