Essen. Der ÖPNV galt als großer Hoffnungsträger der Verkehrswende. Seit der Pandemie schwindet die Akzeptanz. Die Branche ist verunsichert.
Nach der historischen Vollbremsung bei Erlösen und Auslastung im Frühjahrs-Lockdown sorgte die sommerliche Corona-Entspannung für ein kurzes Zwischenhoch im ÖPNV. Doch seit dem zweiten Lockdown im November und der anhaltenden Debatte um die Virenlast in Bussen und Bahnen gehen die Zahlen wieder zurück. Nistet sich der Niedergang im Nahverkehr dauerhaft ein? Ein Überblick.
Im ersten Lockdown hatten die Verkehrsbetriebe im Ruhrgebiet ihre Fahrpläne dramatisch ausgedünnt. Wie sieht das ÖPNV-Angebot derzeit aus?
Ruhrbahn, Bogestra & Co fahren überwiegend im Regelbetrieb. Doch die Fahrgastzahlen sind seit den Lockdown-Beschlüssen im November wieder rückläufig. Ruhrbahn-Vorstand Uwe Bonan beschreibt die Lage so: „Morgens fahren wir die Menschen zur Arbeit, mittags haben wir einen Einbruch, weil unter anderem kein Schülerverkehr mehr stattfindet und die Gelegenheitskunden fehlen. Abends geht die Kurve wieder nach oben, da die Menschen von der Arbeit nach Hause fahren oder Schichtwechsel stattfinden.“
Wie sehen die Zahlen im Ruhrgebiet konkret aus?
Die Bogestra (Bochum, Gelsenkirchen, Witten) meldet eine aktuelle Auslastung von nur 60 bis 70 Prozent, nach bis zu 90 Prozent im August und September. In Dortmund waren nach Auskunft der örtlichen Stadtwerke im November und Dezember nur zwei Drittel der sonst üblichen Fahrgäste unterwegs, aktuell sind es noch 40 Prozent. Der Rückgang fällt damit zwar nicht so drastisch aus wie im Frühjahr.
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In der Hochphase des Lockdowns hatte etwa die Ruhrbahn (Essen, Mülheim) den größten Fahrgastrückgang ihrer Geschichte hinnehmen müssen. Nur ein Fünftel der Kunden nutzten damals noch Bus und Bahn. Hoffnungen, der Nahverkehr könne sich vom Absturz im ersten Lockdown schnell wieder erholen, sind aber dahin. Ruhrbahn-Manager Bonan: „Bei fast gleichen Aufwendungen erzielen wir weiterhin geringere Einnahmen. So ist diese Situation für die Ruhrbahn wirtschaftlich auf Dauer nach wie vor nicht zu stemmen.“
Wie kommen die Nahverkehrsbetriebe finanziell durch die Krise?
Die corona-bedingten Verluste sind riesig. Allein die Dortmunder Stadtwerke rechnen für 2020 mit Pandemie-Einbußen von rund 20 Millionen Euro. Die Bogestra beziffert sie auf über 17 Millionen Euro. Eigentlich müssten die Städte ihren Verkehrsbetrieben jetzt unter die Arme greifen. Nun aber hilft der Rettungsschirm, den Bund und Land im Herbst für den ÖPNV aufgespannt hatten – zunächst einmalig für 2020.
Wie funktioniert der Rettungsschirm?
Er erfüllt zumindest die Erwartungen der Verkehrsbetriebe. Die Gelder sind teilweise schon eingegangen. Insgesamt stehen 700 Millionen Euro für den ÖPNV in NRW bereit, 500 Millionen davon vom Bund. Ausgeglichen werden Verluste aus dem Ticket-Verkauf sowie erhöhte Ausgaben etwa für Trennscheiben. Pandemie-bedingte Einsparungen bei Personal oder Treibstoff müssen verrechnet werden.
Wie blickt die Branche auf 2021?
Mit Sorge. „Durch den erneuten Lockdown ist absehbar, dass wir auch in 2021 noch bei weitem nicht die Fahrgastzahlen und entsprechenden Fahrgeldeinnahmen des Vor-Corona-Niveaus erreichen werden“, sagt Ruhrbahn-Co-Chef Michael Feller.
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Zum Ausgleich der Ausfälle sei man daher darauf angewiesen, dass Bund und Land den Rettungsschirm auf 2021 ausdehnten. Dortmunds Stadtwerke-Verkehrsvorstand Hubert Jung erinnert an eine entsprechende Absichtserklärung der Politik.
Wie sehen Experten die Zukunft des ÖPNV?
Seit dem ersten Lockdown hat das Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Mobilitätsverhalten in der Pandemie immer wieder unter die Lupe genommen.
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Schon früh war klar: Das eigene Auto und das Rad gehen im Mobilitätsvergleich als Gewinner aus der Corona-Krise hervor, öffentliche Verkehrsmittel dagegen als Verlierer. Zuletzt fragten die DRL-Experten im Dezember nach der Verkehrsnutzung. Ergebnis: 18 Prozent wollen künftig mehr zu Fuß gehen, sechs Prozent mehr Fahrrad fahren und neun Prozent mehr das Auto nutzen. 19 Prozent gaben an, den ÖPNV seltener nutzen zu wollen. Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erwartet einen noch deutlicheren Rückgang. „In den Bahnen sitzen nur noch die unteren Einkommensgruppen. Wer eine Alternative hat, nutzt diese“, sagte Knie der Frankfurter Allgemeinen. Auch dem ADAC bereitet die Entwicklung im ÖPNV Kopfzerbrechen. Das Infektionsrisiko im öffentlichen Verkehr schrecke die Menschen ab und sorge für eine Hinwendung zum Auto, sagte ADAC-Verkehrsexperte Roman Suthold dieser Zeitung. Suthold: „Wenn der Trend weitergeht, haben wir ernsthafte Probleme, die Mobilitätswende zu schaffen."