Essen. Forscher wie Drosten, Streeck und Kekulé wurden zu Popstars der Pandemie. Im Netz streiten Fans. Bedroht der Personenkult die Glaubwürdigkeit?

T-Shirts mit der Aufschrift „Team Drosten“ oder „Team Kekulé“ gibt es längst. Bilder einer Jeans-Jacke mit der Aufschrift „Drosten Ultras“ kursieren auf Twitter. Darunter der augenzwinkernde Spruch: „Da können die Laschet-Boys vom #Team Streeck einpacken.“ Die Fans der Virologen sind in Lager geteilt, beinahe wie im Fußball. Ob Hendrik Streeck, Christian Drosten, Alexander Kekulé, Karl Lauterbach oder andere – die jeweiligen Anhänger liefern sich im Netz einen teils amüsanten, teils ernsthaft ausgetragenen Kampf. „Es kann nur einen geben! Wird Zeit, dass ihr euch positioniert. #Team Drosten oder #Team Kekulé?“ twitterte „Der Commandante“.

Die Öffentlichkeit mag den Streit unter Prominenten

Die Öffentlichkeit mag es, wenn Prominente sich streiten. Das ist unterhaltsam. Boulevard-Blätter veranstalteten gar ein Virologen-Casting. Forschung als Show-Veranstaltung? Fraglich ist, ob der Personenkult die Wissenschaft und den Kampf gegen die Pandemie voranbringt. Im Sommer verzettelte sich das Virologen-Trio in einem ermüdenden Streit über Studien, Statistiken und Schlussfolgerungen, in dessen Folge Drosten den Kontakt zu Streeck abbrach und seinem Kollegen Kekulé vorwarf, er könne sich gar nicht qualifiziert  äußern, weil er nicht mehr forsche und publiziere. Kein Wunder, dass sich auch die Öffentlichkeit polarisiert.

Virologischer Dreikampf

Hendrik Streeck leitet das Institut für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn.
Hendrik Streeck leitet das Institut für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. © dpa | Federico Gambarini

In dem virologischen Dreikampf steht Streeck seit der umstrittenen Heinsberg-Studie wohl für den Zauberlehrling unter den Virologen, der die falschen PR-Berater wählte, sich zudem von der Politik habe einspannen lassen und nun den Ruch des Unseriösen nicht mehr ganz los wird. Kekulé ist der Typ klare Kante, der keine Talk-Show scheut, immer und zuerst die strengsten Maßnahmen fordert und es ohnehin schon vorher gewusst hat, und das auch meistens besser. Drosten ist im Laufe des Sommers zu einer Art virologischem Regierungssprecher mit „Wuschelfaktor“ geworden. Abwägend, souverän, unnahbar, dabei aber durchaus kritisch, was seine eigene Arbeit und die seiner Zunft angeht.

Wird hier Forschereitelkeit herausgefordert?

Die Gefahr eines auf offener Bühne ausgetragenen Wettkampfs unter Experten ist, dass sie damit nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit untergraben, sondern die der Wissenschaft gleich mit. Welcher geneigte Beobachter kann schon unterscheiden, ob in dem Streit wissenschaftliche Argumente ausgetauscht werden oder bloß Forschereitelkeiten herausgefordert werden? Von außen sichtbar wird nur, dass sich die Experten, auf die wir uns in der größten Krise seit Generationen verlassen wollen, nicht einig sind. Wo soll da Rettung sein?

Alexander Kekulé ist der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle.
Alexander Kekulé ist der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle. © imago | Horst Galuschka

Der Personenkult entspringt aus der  Zwangsbeziehung, in die Wissenschaft, Medien und Politik durch die Pandemie gedrängt wurden. Mancher Forscher nutzte die plötzlich aufgeflammten Schweinwerfer in eigener Sache, andere mussten mühsam ins Licht gezerrt werden, wieder andere sind uneitel und ehrlich um Aufklärung bemüht.

Überforderung

Besorgt erkennt das Publikum, dass komplizierte, oft widersprüchliche und nicht selten beängstigende wissenschaftliche Untersuchungen direkte Auswirkungen auf das eigene Leben haben. Diese Überforderung lösen manche Menschen durch Teambildung und Fankult auf. So werden aus wissenschaftlichen Fakten rhetorische Keulen und aus einer bedrohlichen Krise eine Art Match.

Im "Schleuderwaschgang der sozialen Medien" 

 Ausgesucht hat sich diese Rollenverteilung  niemand. Wenn man korrigierend eingreift und „ausgemachten Unsinn“ auch mal beim Namen nennt, ist man rasch „mittendrin im breiten öffentlichen Meinungskampf“, klagte Drosten kürzlich. „Und das ist für jemanden, dem es um Fakten und gesicherte Erkenntnis geht, eine, sagen wir mal, interessante und lehrreiche Erfahrung.“ Wissenschaftliche Beiträge würden nicht mehr sachlich und kühl diskutiert, sondern seien Teil einer „ungemein hart geführten“ Debatte. „Das Ganze findet rund um die Uhr bei hohen Temperaturen im Schleuderwaschgang der sozialen Medien statt“, musste Drosten lernen.

Forscher in der Heldenfalle

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Die beteiligten Forscher drohen dabei, in einer Art „Heldenfalle“ zu geraten, erklärt Prof. Julika Griem, Direktorin des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Expertin für Wissenschaftskommunikation. „Virologen werden von manchen Medien zu Superhelden  aufgebaut. Solche Erwartungen können sie anschließend nur enttäuschen.“ Eine andere, besonders dunkle Seite des vermeintlichen Heldenstatus‘ sind Kritik und Bedrohungen in den sozialen Medien nach dem Muster: „Ich weiß, wo du wohnst. Wir beobachten dich!“ Davon betroffene Wissenschaftler seien „von dieser neuen Intensität der Anfeindungen massiv überfordert“, weiß Julika Griem. Wissenschaftliche Einrichtungen müssten ihre Forscher professioneller schützen, damit sie sich in Zukunft nicht eingeschüchtert und bedroht aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Mehr Vielfalt in der Kommunikation wünschenswert

Aber kann es wirklich „nur einen geben“, wie  „Der Commandante“ twitterte? Braucht  Wissenschaft nicht eine Vielzahl von Perspektiven, aus denen sich langsam die Wahrheit herausschält? Wer an einen „Helden“  glaubt, ist geneigt, wissenschaftliche Expertise durch Sympathie zu ersetzen – und andere abzuwerten. Solcher Personenkult ließe sich vermeiden, wenn nicht immer dieselben Akteure im Fokus stehen würden. Griem: „Man sollte nicht immer die gleichen Experten fragen. Mehr Vielfalt würde der Kommunikation gut tun und die Glaubwürdigkeit erhöhen.“
 
Dabei kann ein Streit auch zum Erkenntnisgewinn beitragen. Die Umfrage für das jüngste „Wissenschaftsbarometer“ brachte ans Licht, dass zwei Drittel der Deutschen der Auffassung sind, dass Kontroversen zwischen Forschern zu Corona hilfreich sind, damit sich die richtigen Forschungsergebnisse durchsetzen. Ein öffentlicher Wettbewerb der Virologen könnte somit der Sache dienlich sein. Denn auch wenn viele Debatten der konkurrierenden „#Teams“ im Netz über das Ziel hinausschießen, so sagen die Nutzer mit ihren Beiträgen doch zugleich, dass sie die Arbeit der Forscher beobachten und wertschätzen – egal, welchem Lager sie sich zurechnen. Damit unterstreichen sie die Relevanz der Forschung und zeigen den Wissenschaftsskeptikern und Coronaleugnern die rote Karte. User Nico stellt daher klug fest: „Du bist #Team Kekulé. Ich bin #Team Wissenschaft.“