Düsseldorf. Ein Impfberater im Corona-Krisenstab wurde vom französischen Pharmakonzern ausgeliehen. „LobbyControl“ kritisiert Interessenkonflikt.

Die nordrhein-westfälische Staatskanzlei beschäftigt in ihrem „Krisenkoordinationsrat Corona“ seit der vergangenen Woche den Chef-Lobbyisten des französischen Pharmakonzerns Sanofi Pasteur. Stefan Kentrup, „Head of Public Affairs“ von Sanofi Deutschland, sei befristet bis Juni als Referent in der Geschäftsstelle des Krisenkoordinationsrates eingestellt worden, bestätigte eine Sprecherin der Staatskanzlei Recherchen unserer Redaktion.

Kentrup sei für die Zeit seiner Tätigkeit im Landesdienst von Sanofi Deutschland freigestellt worden. „Der Beschäftigte ist – selbstverständlich auch gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber – zur Verschwiegenheit im Hinblick auf die Inhalte seiner Tätigkeit in der Staatskanzlei verpflichtet“, erklärte die Sprecherin. Zudem sei „eine spezielle Verschwiegenheitsvereinbarung verbunden mit einem Verhaltenskodex“ getroffen worden, um mögliche Interessenkollisionen zu vermeiden.

Pharma-Lobbyist soll Land bei Impfkampagne helfen

In der Pandemie-Bekämpfung bilden alle Staatssekretäre der Landesregierung den „Krisenkoordinationsrat Corona“. Die Geschäftsstelle bereitet deren Sitzungen vor und koordiniert beschlossene Maßnahmen. Der Sanofi-Lobbyist wurde im Zusammenhang mit der vor Weihnachten gestarteten Corona-Impfkampagne eingestellt. „Der Betreffende bringt zu den Themenbereichen Impfstoffe, Impfwesen, Impfmanagement und Impfprogramme ein vertieftes Wissen mit, welches in den kommenden Monaten bei der Erfüllung der Aufgaben der Geschäftsstelle Krisenkoordinationsrat Corona in besonderem Maße gebraucht wird“, so die Staatskanzlei.

In Teilen der Ministerialverwaltung soll die Personalentscheidung für Kopfschütteln gesorgt haben. Sanofi stehe schließlich seit Wochen im Zentrum der Debatte über den schleppenden Start der Corona-Impfkampagne in Europa. Der EU wird vorgeworfen, beim einflussreichen französischen Pharmariesen im vergangenen Herbst vorschnell bis zu 300 Millionen Impfdosen bestellt zu haben. Dessen Impfstoff kommt jedoch voraussichtlich erst Ende 2021 auf den Markt.

"LobbyControl" alarmiert über Personalentscheidung

Sanofi ist Weltmarktführer bei Grippeimpfstoffen. Das Rennen beim Corona-Vakzin machten jedoch zunächst junge Biotech-Firmen wie Biontech (Mainz) und Moderna (USA). Die EU-Kommission muss sich seither dafür rechtfertigen, angeblich die früh erkennbaren Wettbewerbsvorteile der deutschen Biontech-Forscher ignoriert und französischen Industrieinteressen den Vorzug gegeben zu haben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte es zuletzt in der „Bild am Sonntag“ auf die Formel gebracht: „Man hat bei der EU-Kommission wohl zu bürokratisch geplant: zu wenig von den richtigen bestellt und zu lange Preisdebatten geführt.“ Vor diesem Hintergrund ist in Düsseldorf hinter vorgehaltener Hand von einer „Instinktlosigkeit“ die Rede, dass die Staatskanzlei von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ausgerechnet den Chef-Lobbyisten von Sanofi in die zum Teil vertrauliche Impf-Planung des Landes einbeziehe.

Die Organisation „LobbyControl“ reagierte alarmiert auf die Personalie. „Auch durch eine Verschwiegenheitsvereinbarung und einen Verhaltenskodex lässt sich der Interessenkonflikt nicht auflösen. Vielmehr wird die Glaubwürdigkeit des Handelns des Krisenkoordinationsrates durch eine solche Personalpolitik gefährdet“, erklärte ein Sprecher gegenüber unserer Redaktion. Der Sanofi-Fall erinnere an die selten gewordene Praxis, im Rahmen von Personalaustausch-Programmen Lobbyisten von Verbänden und Unternehmen in Bundesbehörden zu schicken. „Durch Interessenkonflikte und privilegierte Zugänge entstehende Probleme überwiegen dabei in der Regel den vermeintlichen Zugewinn an Fachwissen", so der „LobbyControl“-Sprecher.

Nicht zum ersten Mal Unruhe über Nähe zur Pharmabranche

Bereits im vergangenen Jahr hatte eine weitere Personalie im Zusammenhang mit der Corona-Krise in Laschets Regierungszentrale intern aufhorchen lassen. Anke Frankenberger, ehemaliges Vorstandsmitglied der Merz-Pharma-Gruppe aus Frankfurt, war im Mai als ehrenamtlicher „Volunteer“ beschäftigt worden. Der Vertrag lief Ende 2020 aus. Frankenberger habe sich initiativ bei der Staatskanzlei gemeldet und „ihre Hilfe bei Aufgaben zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie angeboten“, bestätigte ein Sprecher.

Aufgrund ihrer besonderen Qualifikation und eines sehr hohen Aufkommens von Bürgeranfragen zum Thema Corona habe man sie eingestellt und auch in der gemeinsamen Task-Force mit Belgien und den Niederlanden eingesetzt. Normalerweise unterhält die Staatskanzlei kein Volunteers-Programm, da in der Regierungszentrale erhöhte Sicherheitsvorschriften gelten und nicht ohne Weiteres Einsicht in Akten gewährt werden darf. Frankenberger sei lediglich Zugang zu den Informationen erteilt worden, die für die Bearbeitung ihrer Aufgaben notwendig seien, so der Sprecher.