Düsseldorf. Die junge Frau aus Münster gehört zum Spitzenpersonal und zu den Hoffnungsträgern der NRW-Grünen. Politik und Fußball sind ihr Leben.

Neulich im Landtag: CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen und SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty liefern sich ein bizarres Rededuell. Löttgen wirft der SPD vor, sie werbe mit ihrem Reiseservice mitten in der Pandemie für Festtagsreisen und lasse ihre Genossen „an den Krankenhäusern vorbeischippern, in denen Menschen um ihr Leben ringen“. Kutschaty findet das „schäbig“. Diese Angebote gebe es längst nicht mehr. Er kontert mit Kritik an einem „Reiseteam der Union“, was wiederum Löttgen „schäbig“ nennt.

Daraufhin geht eine junge Abgeordnete der Grünen ans Rednerpult, und knöpft sich die Streithähne vor: „Ich möchte nur nochmal daran erinnern, dass wir uns in einer Unterrichtung zur aktuellen Coronalage befinden.“ Und die sei wohl „weitaus dramatischer als die komische Scharade, die Herr Löttgen aufführt“.

„Guter Auftritt“, heißt es danach auf den Parlamentsfluren. Josefine Paul, seit Kurzem zusammen mit Verena Schäffer Fraktionschefin der Grünen im Landtag, hat sich bei einer ihrer ersten Reden in der neuen Rolle Respekt verschafft.

Hart aber fair

Vor Kamera und Mikrofon wirkt die 38-Jährige rau. Jeder Satz, jede Geste ist prägnant, zackig und klar. Man könnte meinen: Mit der ist nicht gut Kirschen essen. Aber „rau“ ist nur eine ihrer Facetten. Dazu gesellen sich andere. Zum Beispiel, und darauf legt Josefine Paul Wert, das Streben nach Fairness.

Denn die Abgeordnete aus Münster ist Fußballspielerin aus Leidenschaft. Seit ihrem 13. Lebensjahr kickt sie, erst im Mädchenteam des TSV Barmke in Helmstedt, beim TuS Saxonia Münster sogar in der Westfalenliga und heute wegen der knappen Freizeit nur noch ab und zu beim Frauen- und Lesbensportverein „Weiberkram“ in Düsseldorf.

„Ball gehörte zu den ersten Wörtern, die ich sagen konnte“, erzählt Paul. Das Spielgerät ist eine große Konstante in ihrem Leben, der Fußball eine Schule. Eine der wichtigen Lektionen: „Das Team zählt mehr als der Einzelne.“ Eine weitere: „Nach dem Abpfiff ist der Gegner kein Gegner mehr“. Übersetzt in den politischen Beruf bedeute das: „Ich bin auf dem Platz wie in der Politik streitbar, aber das ist nichts Persönliches.“ Man müsse gesprächsbereit bleiben.

Wenige Fouls und Gelbe Karten

Auf dem Platz verhinderte Josefine Paul Tore und schreckte vorm Grätschen nicht zurück. „Fouls habe ich dabei aber nur selten gespielt und auch nur sehr selten eine Gelbe Karte bekommen“, betont sie. Den Gegner sauber vom Ball trennen, aber nicht verletzen: Grundsätze einer Verteidigerin, die sich auch für die Politik eignen. Leider hätten es Damen auch 50 Jahre nach dem Ende des Frauenfußballverbots in vielen Vereinen noch schwerer als Männer. Herren bekämen heute noch bessere Trikots und Platzzeiten.

„Ich bin kämpferisch, aber nicht unversöhnlich, ungeduldig und zeitweise vielleicht auch mal etwas grummelig“, sagt Josefine Paul über sich selbst. Die Region um ihre Geburtsstadt Helmstedt, gelegen an der früheren innerdeutschen Grenze, wirkte prägend: „Mich hat die Diskussion um Atomenergie und vor allem um die Entsorgung des Atommülls stark politisiert. In unserer Region befanden sich mit den Atommülllagern Schacht Konrad und Asse sowie Marsleben und Gorleben gleich mehrere Lagerstätten für Atomabfälle“. Andere Ereignisse brannten sich in ihrer Erinnerung fest: 1989 die Öffnung der nahen Grenze zur DDR, dann die rassistischen Mordanschläge von Solingen und Mölln.

"Diversität ist der Schlüssel zum Erfolg"

Paul, gerade im Teenageralter, spürte den Drang, in der Schule und auf der Straße gegen Gewalt von Rechts zu demonstrieren, später auch für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und die Rechte der „LSBTI“-Community, also unter anderem von Lesben, Schwulen und Bisexuellen. „Vielfalt“ wurde zu einem ihrer Lebensthemen: „Diversität ist der Schlüssel zum Erfolg“, findet sie. Zwar sei die rechtliche Gleichstellung der „LSBTI“ fast vollständig erreicht. Dennoch tobe weiter „eine Art Kulturkampf“ zum Beispiel um geschlechtergerechte Sprache. Und als es um die Kontaktbeschränkungen an Weihnachten ging, habe die NRW-Regierung zunächst nur an die klassische Kernfamilie gedacht. Paul irritiert dieses Ausblenden von Vielfalt: „Dem Virus ist wurscht, ob man in gerader Linie biologisch verwandt ist oder eine Wahlfamilie bildet.“

Der Sprung an die Fraktionsspitze der Grünen im Landtag mache sie „auch etwas demütig“, sagt Josefine Paul. Die Verteidigerin muss jetzt angreifen. Foulspiel bleibt tabu.

Zur Person:

Josefine Paul (38) studierte Geschichte, Politik und Soziologie in Braunschweig und Münster. Seit 20 Jahren engagiert sie sich für die Grünen, seit 2010 ist die Angeordnete aus Münster Mitglied des Landtags. Sie löste Ende Oktober 2020 mit der Wittener Abgeordneten Verena Schäffer (34) die Fraktions-Doppelspitze Monika Düker und Arndt Klocke ab. Paul lebt in einer festen Partnerschaft und engagiert sich ehrenamtlich für Frauen, für Geschichtsbewusstsein und den Fußballsport.